Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Derwisch und der Tod

Der Derwisch und der Tod

Titel: Der Derwisch und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
Vom Netzwerk:
du etwas?" fragte sie
den Vater fürsorgend. „Fällt es dir schwer, daß du allein bist?"
    „Ich bin
seit langem allein. Hab mich dran gewöhnt."
    „Konnte
Hasan die Reise nicht aufschieben?"
    „Ich hab
ihn ja geschickt. Wegen geschäftlicher Dinge."
    Sie
lächelte ein bißchen über diese Lüge.
    „Es ist mir lieb, daß er mit
Freunden zusammen ist. In Gesellschaft reist es sich leichter. Sie werden ihm,
wenn es nötig ist, zur Hand sein und er ihnen. Erst heute habe ich erfahren,
daß er unterwegs ist, und ich bin gleich hergeeilt, um nachzusehen, wie es dir
geht."
    „Du hättest auch kommen können, wenn
Hasan nicht unterwegs wäre."
    „Ich bin eben erst vom Bett aufgestanden."
    „Bist du
krank?"
    „Nein."
    „Warum
lagst du dann im Bett?"
    „Mein Gott,
muß ich denn alles sagen? Es scheint, du wirst Großvater."
    Die
Perlmuttzähne blitzten, während sie lachte; nichts ließ erkennen, daß sie
verwirrt oder verschämt gewesen wäre.
    Der alte Mann stützte sich auf den
Ellbogen und sah sie überrascht an, auch ein wenig beunruhigt, glaube ich.
    „Du bist
schwanger?"
    „Es scheint so."
    „Bist du's, oder scheint's so?"
    „Ich bin's."
    „Ah. Dann wünsch ich dir
Glück."
    Sie trat zu ihm und küßte ihm die
Hand. Und ließ sich wieder auf ihrem Platz nieder, dem alten Mann zu Füßen.
    „Auch deinetwegen hätte ich es gern.
Du würdest dich bestimmt über einen Enkel freuen."
    Der Alte blickte sie beharrlich an,
als glaubte er ihr nicht, vielleicht hatte ihn die Nachricht auch zu sehr
erregt.
    Er sprach leise, besiegt:
    „Freilich. Und wie ich mich freuen
würde!"
    „Und Hasan? Wird er heiraten?"
    „Ich glaube nicht."
    „Schade. Sohneskind wäre dir lieber
als Tochterkind."
    Sie lachte, als hätte sie es im
Scherz gesagt, obgleich sie kein einziges Wort ohne Grund sprach.
    „Einen Enkel wünsch ich, Tochter.
Von dir oder von ihm, ganz gleich. Bringt ihn die Tochter, so ist es sicherer,
daß er von meinem Blut ist, da gibt es keinen Betrug. Ich hatte schon Angst,
ich würde es nicht erleben."
    „Ich betete zu Gott, er möge mich
nicht kinderlos lassen, und siehe, Dank sei ihm, es hat geholfen."
    Na gewiß, viel hilft hier das Beten!
    Ich hörte das Gespräch, betroffen
von ihrer kalt berechnenden Art, staunend über die Rücksichtslosigkeit, die sie
unter der Ruhe des schönen Gesichts verbarg, und begeistert von der männlichen
Sicherheit. Nichts von Hasan und nichts von ihrem Vater hatte sie, die beiden
wiederum hatten nichts mit ihr gemein. Hatte das Vaterblut versagt, oder hatte
es nur das weitergegeben, was in den beiden Männern sich nicht hatte entwickeln
können? Oder nahm sie Rache für das leere Leben, dafür, daß sie keine Liebe
fand, daß die Mädchenträume untergegangen waren? Enttäuscht in ihren
Erwartungen, verhärtet, rechnete sie jetzt ruhig mit aller Welt ab, ohne
Bedauern und Reue, ohne Gnade. Wie unbewegt sie doch auf mich blickte, als ob
ich nicht da wäre, als hätten wir niemals jenes häßliche Gespräch in dem alten
Hause geführt. Entweder verachtete sie mich so sehr, daß sie alles vergessen
konnte, oder sie war keines Schamgefühls mehr fähig. Ich konnte ihr meinen
toten Bruder nicht verzeihen, aber ich wußte auch nicht, was ich in meinen
Gedanken mit ihr anfangen sollte, einzig sie ordnete ich keiner Seite zu, ich
zählte sie weder zu den wenigen Freunden noch zu den Feinden, die ich haßte.
Vielleicht deswegen, weil sie so herrlich alles auf sich bezieht und weil es
niemanden gibt, dessen Angelegenheiten ihr nicht letztlich gleichgültig wären.
Sie lebt nur für sich, vielleicht nicht einmal wissend, daß sie rücksichtslos
ist. Wie Wasser, wie eine Wolke, wie ein Gewittersturm. Doch vielleicht auch wegen
ihrer Schönheit. Ich bin nicht schwach gegenüber Frauen, aber ihr Gesicht
vergißt man nicht so leicht.
    Als sie gegangen war, blickte der
alte Mann lange auf die Tür, dann auf mich.
    „Schwanger", sagte er
nachdenklich. „Schwanger. Was sagst du dazu?"
    „Was hätte ich dazu zu
sagen?"
    „Was du zu sagen hättest! Mir
gratulieren solltest du! Aber jetzt tu's nicht mehr – zu spät! Du hast es
versäumt, das heißt, du glaubst es nicht. Warte, auch mir ist es nicht klar. So
viele Jahre hat mein geschätzter Schwiegersohn nichts zustandegebracht, und das
Alter wird seine Lenden auch nicht gerade gestärkt haben. Wunsch und Gebet
helfen da wenig. Es könnte höchstens sein, daß ein Jüngerer, Gott verzeih
mir's, übern Zaun gesprungen wäre; ach was,

Weitere Kostenlose Bücher