Der Derwisch und der Tod
müßten mehr tun. Oder läßt mich das Gedächtnis
ganz im Stich. Womit hast du mich belastet? Ich kann nicht aufstehen, aber
sprechen kann ich, zum Glück. Und keiner darf sagen, ich brauchte mich nicht um
meinen Freund zu sorgen. Das ist eine Frage meines Gewissens."
„Es könnte gefährlich werden."
„Für mich gibt es nichts
Gefährliches mehr. Oder, wenn du so willst, für mich ist alles gefährlich. Der
Tod hockt hinter der Tür und wartet. Solange ich etwas tue, denke ich nicht an
ihn, betrifft er mich nicht. Solange lebe ich."
Er sprach selbstsicher, und es kam
überzeugend. Wie auch das andere, das ich kurz vorher gehört hatte. Und eines
von beiden mußte aufrichtiger sein, eher dem entsprechen, was er dachte und
wünschte.
Es konnte mir auch gleichgültig
sein. Ich würde ihn in dem bestärken, was ich brauchte, und das würde ich
erreichen, indem ich ihm glaubte. So sagte ich schmeichelnd:
„Was du da sagst, höre ich gern. Ich
schätze tapfere und edle Menschen."
„Das muß man auch. Wenn man sie
findet. Bloß, alte Menschen sind weder tapfer noch edel. Auch ich nicht.
Vielleicht bin ich nur listig, das hält sich lange. Was können sie mir anhaben,
so wie ich jetzt bin? Werden sie einen Menschen, der schon den Fuß auf seinen
letzten Weg gesetzt hat, einsperren oder töten? Die Menschen sind dumm, sie
werden einen Greis, der keinen Nutzen mehr bringt, verschonen und einen
Jüngling, vor dem das ganze Leben liegt, vernichten. Darum will ich alles auf
mich nehmen, jawohl, alles, ich werde den Vorteil nutzen, er bietet sich nur
einmal im Leben."
Er lachte und hustete.
„Boshaft, wie? Ohne Gefahr ein Held
sein. Boshaft – und ein Spaß." Ich wußte nicht, ob man es einen Spaß
nennen sollte, und war auch nicht sicher, ob sie ihn verschonen würden. Aber
mag's geschehen, wie du willst, Alter. Ich würde es
bedauern, wenn du zu leiden hättest, aber noch mehr würde ich es bedauern, wenn
mein Plan nicht gelänge. Wir sind nicht mehr wichtig, weder du noch ich.
Seltsamerweise hatte er mich bisher
kein einziges Mal gefragt, warum man Hadschi Sinanudin eingesperrt habe, auch
nicht, ob er schuldig sei. Ich berichtete ihm jetzt, ich hätte gehört, Hadschi
Sinanudin sei irgendwie in die Flucht der Posaviner verwickelt und seine
Verhaftung sei der Anfang einer Hetzjagd auf angesehene Leute, die sich immer
öfter weigerten,sich den Anordnungen der Hohen Pforte und des Valijas [29] zu
fügen; der Anlaß sei jetzt die verweigerte Zahlung für die Kriegshilfe gewesen.
Dieses Zuschlagen solle Furcht säen, damit sich nach den Aufständen in der
Posavina und der Krajina hier keiner ein Beispiel an der bösen Tat nehme. Und
das solle ja wirklich nicht geschehen. Gerade darum, daß nicht noch mehr
Verwirrung entstehe, daß nicht geschehe, was kein kluger Mensch wünschen könne,
müsse man die beseitigen, die Unruhe und Unzufriedenheit hervorriefen, die
unter dem Deckmantel der Gesetze rohe Gewalt übten und die mit ihren
verachtenswerten Handlungen die Menschen zu häßlichen, blutigen Taten treiben
könnten. Wenn Hadschi Sinanudins Unglück dazu beiträge, daß Gott sie von uns
nähme, wären weder das Unglück noch unsere Sorgen umsonst gewesen.
Hadschi Sinanudins angebliche
Verfehlung tat Alijaga mit einer Handbewegung ab, entweder weil sie ihm nicht
schwerwiegend erschien oder weil er nicht an sie glaubte, und zu der Hetzjagd
sagte er, die menschliche Furcht bringe immer den Gedanken an so etwas hervor,
und das sei auch nicht so unklug, denn nie komme es besser, sondern immer
schlimmer, oder es scheine uns so, weil das Bestehende immer schwerer ist als
das Vergangene und die beglichene Schuld immer leichter als die, die vor der
Tür steht. Er glaube nicht, daß jemand wirklich davon gehört habe, denn wenn
sie die Absicht hätten, das zu tun, würden sie es nicht vorher ausplaudern.
Und wenn sie es ausgeplaudert hätten, gedächten sie es nicht zu tun, sondern
wollten die Leute einschüchtern. Was die Macht betreffe, sie sei immer schwer
zu ertragen, immer werde sie uns zu dem zwingen, was uns nicht lieb ist. Was
würde geschehen, wenn diese da verschwänden? Zu seinen Lebzeiten seien so
viele Kadis, Muselime, Kajmekame abgesetzt, fortgejagt oder umgebracht worden,
er wisse nicht einmal ihre Zahl. Habe sich darum etwas geändert? Nicht viel.
Die Menschen indessen glaubten, es würde anders, und sehnten sich nach
Veränderung. Sie träumten von einer guten Macht, was aber sei das? Was ihn
betreffe, er
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