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Der Derwisch und der Tod

Der Derwisch und der Tod

Titel: Der Derwisch und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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dich erkundigen?"
    „Es geht mich nichts an."
    „Ich zahle."
    „Du hast auch nichts für das
gezahlt, was dir wichtiger war. Oder ist dir dies da wichtiger? Warte doch, was
regst du dich auf? Ich sag dir's ohne Geld. Ich habe den Nachtwächter im
Nachbarbezirk gefragt. Auch er weiß es nicht. Und wenn er's nicht weiß, ist's
so gut, als wär's nicht geschehn. Weiter kann ich keinen fragen."
    In den Fenstern glommen Lichter auf,
die Häuser öffneten die Augen.
    Als es vollends Tag geworden war,
brachte mir Mula Jusuf zwei Nachrichten, die eine besagte, daß Hasan am frühen
Morgen nach Hause gekommen sei, er sei die ganze Nacht unterwegs gewesen, und
die andere, merkwürdigere, lautete, daß die Čaršija-Läden geschlossen
seien.
    In der Tat, die Werkstätten und
Verkaufsräume waren verriegelt, die Fensterläden herabgelassen, die Schlösser
vorgelegt und fest verschlossen – am heiligsten Feiertag war es nicht so leer.
    Ein junger Schneider, einer der erst
zugezogen war, klappte rasch, sich erschrocken umsehend, die Bretter zusammen,
auf denen sonst die Ware lag.
    „Warum ist die Čaršija
geschlossen?"
    „Ich weiß nicht. Ich bin ganz früh
gekommen und habe gearbeitet, da auf einmal hab ich gesehn, daß keiner
aufmacht."
    Er rüttelte noch einmal an der Tür,
schob den Schlüssel tief in die Tasche, als versteckte er ihn, und lief eilig
die Gasse hinab.
    Zwei Händler tauchten auf,
gemessenen Schrittes, wie Wachtposten, und blickten dem Schneider ruhig nach.
    Ich
erkundigte mich:
    „Habt ihr
ihm nicht gesagt, daß die Čaršija geschlossen bleibt?"
    „Wer soll's
wem gesagt haben?"
    „Habt ihr
euch denn nicht verabredet?"
    Sie sahen
sich verwundert an: „Worüber sollen wir uns verabredet haben?"
    „Warum habt
ihr dann die Läden geschlossen?"
    „Ich dachte
mir: Ich werd heute nicht aufmachen. Und die anderen werden sich
dasselbe gesagt haben."
    „Aber
warum?"
    „Warum? Was
wissen wir!"
    „Habt ihr
euch wirklich nicht verabredet?"
    „Effendi,
Bester, wie sollte sich denn die ganze Čaršija verabreden?"
    „Aber ihr
seht doch, alles ist geschlossen."
    „Gerade
darum ist ja geschlossen."
    „Warum?"
    „Weil's
keine Verabredung gab."
    „Gut, ist
es nicht wegen gestern?"
    „Freilich,
auch wegen gestern."
    „Oder wegen
der Schießerei heute morgen?"
    „Freilich auch
wegen der Schießerei."
    „Oder wegen
etwas anderem?"
    „freilich,
auch wegen anderem."
    „Was geht
in der Stadt eigentlich vor sich?"
    „Wir
wissen's nicht. Deshalb haben wir geschlossen."
    Sie
blickten an mir vorbei, ernst, abwesend, besorgt, nicht greifbar.
    „Und was
wird nun?"
    „Nichts, mit
Gottes Hilfe."
    „Und wenn
etwas geschieht?"
    „Na, wir haben
jedenfalls geschlossen."
    Ob diesen
Čaršija-Leuten unsere Derwisch-Denkweise genauso unbegreiflich
erscheint wie uns die ihre?
    Ich würde
nicht einmal sagen, sie seien unaufrichtig oder allzu vorsichtig
gewesen. Sie witterten nur eine Gefahr – da hat jeder seine eigene Sprache.
    Ich
berichtete Hasan von diesem Gespräch. Einen seltsamen Eindruck hatten auf mich die beiden Händler
gemacht, die sich über Nacht in Fremde verwandelt hatte, wegen der Dinge, die
gerade ich ins Rollen gebracht hatte. Hätten sie mir nicht stattdessen näher
rücken sollen? Hasan gegenüber drückte ich es anders aus: Müßten wir nicht
ähnlicher denken, wenn uns derselbe Anlaß in Unruhe versetzt?
    Hasan zog sich in seinem Zimmer an.
Er habe sich gebadet, sagte er, schon zum zweitenmal, er sei müde, sie hätten
sich beeilt, seines Vaters wegen, sein Freund, der Dubrovniker, sei ganz
erschöpft, sicher werde er zwei Tage und zwei Nächte
hintereinander schlafen. Hasan sah nicht müde aus, eher zerstreut. Ein
gedankenverloren heiterer Gesichtsausdruck ließ ihn träumerisch, entrückt
erscheinen. Etwas Schlafwandlerisches, lächerlich Glückliches, nicht besonders
Kluges, das ihn von innen her erleuchtete, machte ihn blind für die Welt
außerhalb seiner. Er gab Antworten: „ja", „gewiß"; aber es sah aus,
als verstünde er mich nicht, ebensowenig, wie ich die beiden Händler verstanden
hatte.
    „Du bist ja noch gar nicht hier in
der Stadt", sagte ich, halb verwirrt, halb belustigt von seiner
Zerstreutheit.
    „Wie? Ah so! Freilich bin ich hier,
und ich bin schon ganz auf dem laufenden: Der Vater ist schwerkrank, Hadschi
Sinanudin ist verhaftet, Oberst Osman Beg ist ausgezogen, die Posaviner
niederzumetzeln – gibt es noch etwas?"
    Er lächelte glücklich, als wären das
die

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