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Der Derwisch und der Tod

Der Derwisch und der Tod

Titel: Der Derwisch und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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kehrte im Spiel zum
Anfang zurück, zwang sie, neu zu beginnen): Alles ist für sie zu Ende, aber
sie wissen es nicht, glauben es nicht, sie stehen aufrecht, dreist,
selbstsicher wie einst, wie immer bisher. Ich möchte sie nicht ausgelöscht,
vernichtet sehen, mein Haß erschlafft, wenn mein Gedanke unwillkürlich, mir
nicht gehorchend, weiter geht als ich will. Der Haß braucht, ebenso wie die
Liebe, lebendige Menschen.
    Aus dem Schlaf riß mich heftige
Schießerei irgendwo in der Stadt. Hatte es begonnen?
    Noch dehnte sich die stockfinstere
Nacht. Ich zündete eine Kerze an und schaute nach der Wanduhr. Bald würde es
Morgen sein.
    Ich zog mich an und trat auf den
Korridor.
    Hafiz Muhamed stand unter der Tür
seines Zimmers, in seinem pelzgefütterten Mantel. Schlief er denn niemals?
    „Ich habe gehört, wie du dich
anziehst. Wohin willst du so früh?"
    „Was ist das für eine
Schießerei?"
    „Nicht zum erstenmal schießen sie.
Was geht es dich an."
    „Ob es um Hadschi Sinanudin
geht?"
    „Warum sollten sie Hadschi Sinanudin
wegen schießen?"
    „Ich weiß nicht."
    „Geh nicht fort. Wir werden es
erfahren, wenn es hell wird."
    „Ich komme gleich wieder."
    „Es ist finster, gefährlich,
vielleicht treibt sich Gesindel draußen herum. Barmherziger Gott, hat dich denn
sein Unglück so sehr getroffen! Soll es denn geschehen, daß du deiner Güte
wegen selber zum Opfer wirst?"
    „Ich muß nachsehen."
    „Was erwartest du?"
    Ich ging an Zäunen, an Mauern
entlang, versteckte mich im Dunkeln, wenn Soldaten vorbeirannten; seitdem ich
in der Festung saß, quälte mich eine ganz unvernünftige Angst vor schnellen
fremden Schritten und vor aufgeregtem Rennen, ich fürchtete alles, was
überraschend geschieht. Jetzt hätte ich gerne gewußt, was geschah. Ich wollte
zurechtkommen, wollte sehen, wollte mich einmischen.
    Wo und wie denn einmischen?
    In der Tat, was erwartete ich,
worauf hoffte ich?
    Meine ganze Zuversicht lag in dem
Brief, den der Kurier zum Silahdar Mustafa nach Stambul trug.Wenn von dort
nicht bald ein Katul-ferman [30] käme oder wenigstens ein Brief über die Absetzung
der Schuldigen, dann gäbe es keine Sohnesliebe mehr und keine Ehre. Doch
darüber lohnte es sich nicht nachzudenken, denn das Leben wäre dann keinen
Kupfergroschen wert.
    Doch selbst, wenn ich annahm, daß es
wirklich keine Sohnesliebe und keine Ehre gebe, konnte ich doch an den Hochmut
der Mächtigen glauben. Der würde nicht versagen. Konnte es denn der Silahdar
des Sultans mit seiner Selbstachtung vereinbaren, daß die Provinzstadtkläffer
seinen Vater durch die Gefängnisse zerrten? Er würde gegen seine eigene
Schande kämpfen, auch wenn ihm ein Stärkerer gegenüberstünde, von den unseren
aber würden die Federn nach allen Seiten fliegen; er hatte bestimmt keinen
Engelscharakter, auch keine leichte Hand, wenn er einen solchen Platz erreicht
hatte.
    Alles würde er für mich besorgen.
Mir bliebe nur zu warten, und das wäre das beste und sicherste. Die Männer der
Čaršija freilich konnte ich auf keine Weise umgehen. Da ich einmal Hadschi
Sinanudin zum Lockvogel gewählt hatte, bezog ich auch sie ein. Sie könnten mir
alles verderben, aber was hätte ich anderes tun sollen? Wenn sie Hadschi Sinanudin
vorzeitig freiließen, ohne Lärm und ohne Schaden, wäre alles umsonst gewesen.
Immerhin erwartete ich, daß die Männer der Čaršija mehr und Gewichtigeres
unternähmen. Ich wußte nicht, was. Vielleicht war ihr Bote schon mit einer
Beschwerde zum Valija unterwegs. Vielleicht würden sie für Geld Raufbolde und frühere
Soldaten gewinnen, damit die den Gefangenen befreiten. Vielleicht würden sie
Janitscharen anstiften, die Machthaber zu stürzen. Ihr Treiben ist schwer zu
durchschauen, aber ich hoffte, daß nichts im stillen verlaufen würde. Es müßte
weithin zu hören sein. Und ich wollte auch nicht, daß etwas geschähe, ohne daß
ich beteiligt wäre. Ich mußte meine eigenen Rechnungen vorweisen und die
Schulden eintreiben.
    An der Steinbrücke begegnete ich dem
Nachtwächter.
    „Wohin so früh, Scheich
Effendi?"
    „Meine Uhr ging falsch."
    „Mein Gott, so ist das Leben. Wer
schlafen könnte, der schläft nicht, und wer immerzu schlafen möchte, der hat
die ganze Nacht auf den Beinen zu bleiben."
    „Gibt es was Neues?"
    „Freilich gewiß! Immer geschieht
etwas Neues. Bloß mir erzählt keiner was, darum weiß ich nichts."
    „Irgendwo hat es eben
geschossen."
    „Zum Glück nicht in meinem Bezirk."
    „Könntest du

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