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Der Derwisch und der Tod

Der Derwisch und der Tod

Titel: Der Derwisch und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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Bewegung, ohne Seufzer, ohne ein Wort, dann beugte
sie sich und küßte ihn auf Schulter und Stirn. Sie wischte ihm sorgsam mit
einem Seidentuch das Gesicht ab und ließ dann die Hand auf seiner gelben Wange
ruhen. Ihre Finger zitterten.
    Trauerte sie wahrhaftig um ihn? Ich
hatte die Gebärde der Trauer erwartet, tiefe Bedrücktheit, ja auch Tränen, aber
gar nicht erwartet hatte ich die zitternden Finger auf dem Gesicht des Toten.
Mich verblüffte auch die Zärtlichkeit, mit der sie ihm das Blut abwischte, wie
einem Kinde, weich, um ihn nicht zu verletzen, ihm nicht weh zu tun.
    Ich trat zu ihr, als sie aufgestanden
war.
    „Möchtest du, daß er gleich nach
Hause gebracht wird?"
    Sie wandte den Kopf so jäh zu mir,
als ob ich sie geschlagen hätte. Erst später, aus dem Gedächtnis, fiel mir auf,
daß sie die Wimpern mit Tusche geschwärzt hatte und daß ihr die Augen voll
Tränen standen. War es ihr leichter gewesen, da sie es gehört hatte, als jetzt,
da sie ihn sah? Doch zuerst beachtete ich das gar nicht, denn mich verwunderte
der Blick, mit dem sie mich zurückstieß, sengte, durchbohrte, der Blick eines
Todfeindes.
    Mich verwirrte die Drohung ebenso
wie ihr unerwarteter Schmerz. Vielleicht war es nicht so stumpf und starr in
jenem großen Hause gewesen, vielleicht würde es erst jetzt so sein. Ohne zu
wissen, warum, ohne irgendeinen greifbaren Grund bedauerte ich sie ebenso wie
mich selbst. Ich fühlte mich verödet und vereinsamt, so wie sie. Vielleicht
wegen der Erschöpfung, die mich wie eine Dämmerung überkam.
    Später erinnerte ich mich, wie schön
sie mir erschienen war, schöner sogar als an jenem Abend in dem großen Haus,
wegen der tränenblitzenden Augen und wegen ihres vom Haß verklärten
Gesichtsausdruckes.Die eine Hand – beunruhigt, vergessen – glitt unter den
Zipfeln der Feredža [31] hervor und hielt in dieser Flucht inne, verwirrt von der
Stille.
    Ich spürte den Wunsch, meine Stirn
unter diese Hand zu schieben, die etwas suchte, und, die Augen schließend, die
Erschöpfung und den heutigen Tag zu vergessen. Und mich mit ihr zu versöhnen.
Und mit aller Welt.
    Diese trübe Stimmung beherrschte mich
noch, als ich auf die Gasse hinaustrat, in einen grauen Regentag, der mit ein
paar nassen Schneeflocken gescheckt und durch schwarze, sich ballende, die Welt
zudeckende Wolken beengt war.
    Der Wind heulte durch mich hindurch,
als wäre ich eine leere Höhle.
    Wie heilt man ein verödetes Herz, Ishak, du
Trugbild, immer aufs neue von meiner Ohnmacht erdacht?
    Ich wanderte ziellos, blieb vor der
Herberge stehen, betrachtete lange eine Karawane, die eben angekommen war, und
wußte nicht, ob es gut oder schlecht ist, unterwegs zu sein, ich blieb vor
Haruns Grab stehen und hatte ihm nichts zu sagen, nicht einmal das, wie sich
ein Sieger fühlt.
    Ich hätte in die Tekieh gehen
sollen, um allein zu bleiben, um wieder Kraft zu schöpfen. Aber nicht einmal
dazu konnte ich mich entschließen.
    Da stand Mula Jusuf vor mir, und
meine Willenlosigkeit verschwand, wie ein Nebel sich auflöst. Solange der
wichtigere Teil der Aufgabe noch vor mir lag, hatte ich nicht an ihn gedacht.
Jetzt tauchte er auf, wie aus dem Wasser, und brachte sich in unerfreuliche
Erinnerung.
    Hasan suche mich, sagte er, und er
bitte mich, zu Hadschi Sinanudins Haus zu kommen.
    Auch Hadschi Sinanudin hatte ich
vergessen. War er denn schon zu Hause?
    Mula Jusuf berichtete kurz – mehr
weil ich es wissen, als weil er es erzählen wollte –, daß Hasan am Morgen
erfahren habe, der Muselim habe Hadschi Sinanudin unter Bewachung in die Burg
Vranduk gebracht, aus der selten jemand zurückkehrt. Hasan sei darauf mit
seinen Knechten nach Vranduk gejagt, aber sie hätten
umsonst die Pferde gehetzt, wenn nicht das Wasser eine Brücke vor der Burg
abgerissen hätte; so erreichten sie denn das Kommando und schlugen Hadschi
Sinanudin heraus. Sie hätten ihn in einem Dorf versteckt, und jetzt, da sie
gehört hatten, was geschehen sei, hätten sie nach ihm geschickt.
    Bei anderer Gelegenheit und aus
anderem Munde hätte mich diese Geschichte mehr gefesselt. Jetzt betrachtete
ich den jungen Mann mißtrauisch. Er schien mir kalt und zurückhaltend. Er
sprach unwillig, als ginge mich das alles nichts an.
    Ich sagte im Zorn, den ich ihm
gegenüber schwer beherrschen konnte: „Mir gefällt nicht, wie du mich ansiehst,
mir gefällt nicht, wie du zu mir sprichst."
    „Wie ich dich ansehe? Wie ich
spreche?"
    „Du hältst dich auf Abstand. Und
hältst

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