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Der Derwisch und der Tod

Der Derwisch und der Tod

Titel: Der Derwisch und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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über die Angst, über
die Alltäglichkeit und wunderte mich nicht mehr. Wer betrachtet auch sein Glück
als unverdient?
    Ich stand am Fenster in der ersten
Nacht und blickte auf die Stadt, so wie ich mir den Silahdar vorgestellt hatte,
und dem aufgeregten Rauschen des Blutes lauschend, sah ich meinen riesigen
Schatten über dem Tal. Dort unten waren die Menschen klein, sie wandten die
Augen zu mir.
    Ich bin glücklich, doch ich bin
nicht naiv. Ich weiß, daß mir viele Zufälligkeiten geholfen haben, die sich an
jene Anfangsursache, das Unglück meines Bruders Harun, reihten. Und wiederum
sind es gar keine Zufälligkeiten – der Schlag hat mir Kraft gegeben, mich in
Bewegung gebracht. Gott hatte es so gewollt, aber er hätte mich nicht belohnt,
wenn ich die Hände in den Schoß gelegt hätte. Und ihre Wahl fiel gerade auf
mich, weil ich ein wenig Held, ein wenig Opfer, ein wenig Mann des Volkes war,
von keinem zuviel, sondern alles mit einem Maß, das für das Volk ebenso wie für
die Obersten der Stadt annehmbar war. Den Ausschlag gab offensichtlich, daß
sie sicher waren, sie könnten mit mir leicht herrschen und tun, was ihnen
einfiele.
    „Und du wiederum meinst, du würdest
das tun, was dir einfällt", sagte Hasan zu mir.
    „Ich werde tun, was Gesetz und
Gewissen mir gebieten."
    „Jeder glaubt, er würde alle andern
überlisten, denn er ist sicher, daß nur er nicht dumm ist. Aber so zu denken,
ist wahrhaftig dumm. Dann sind wir alle dumm."
    Ich fühlte mich nicht gekränkt.
Diese Schroffheit bestätigte mir, daß ihn eine Unruhe quälte, ich weiß nicht,
was für eine, aber ich hoffe, sie geht vorüber. Es wäre schade, wenn sie länger
dauerte, schade sowohl für ihn wie für mich. Ich brauche ihn unverwundet, ohne
Schwere und ohne bittere Gedanken. Auch so ist er mir teuer, er ist mir teuer,
wie er auch sei, besonders wenn ich ihm gleichkomme, aber lieber ist es mir,
wenn er zu meiner lichten Seite wird. Er ist Ungebundenheit, freier Wind,
heiterer Himmel. Das, was ich nicht bin, aber das stört mich nicht. Er ist der
einzige Mensch, der meine Stellung nicht achtet und der mich lieber haben
möchte, wie ich früher war, ich wiederum bemühe mich, dem Bild, das er sieht,
recht ähnlich zu werden. Manchmal glaube ich auch, daß mir das gelingt. Ich
suchte ihn nach der Begegnung mit dem toten Kadi, ihn brauchte ich, einzig ihn,
nur ihn wollte ich sehen, nur er konnte meine seltsame Angst vertreiben. Ihm
schloß ich mich an, noch einmal, für immer, und ich werde mich an ihn halten,
wann immer ich ihn brauche. Ich weiß nicht recht, warum, vielleicht deshalb,
weil er das Leben nicht fürchtet. Meine Stellung gab mir Sicherheit, aber ich
wußte sogleich, sie würde mir auch Einsamkeit bescheren. Je höher man steht,
desto größer ist die Leere ringsum. Darum nahm ich mir vor, den Freund zu
bewahren, er würde mir Streitmacht und Schutz und Zuflucht sein.
    Bald wurde dieses Bedürfnis noch
stärker.
    Ich nahm das schwere Amt an, weil
ich es für Schutz und Waffe in dem Kampf hielt, zu dem ich gezwungen war. Aber
es verging nicht viel Zeit, und ich mußte mich schon wehren. Blitze hatten
freilich noch nicht eingeschlagen, aber es ließ sich schon unheildrohender
Donner vernehmen.
    Als ich den Sultanserlaß bekommen
hatte, mit dem der Silahdar Mustafa seinen Dank abstattete und mein Amt
bestätigte, beschloß ich, in allem, was ich zu unternehmen gedachte, einzig
mein Gewissen zu fragen. Sofort spürte ich einen kalten Wind um mich herum. Die
mich in diese Stellung gebracht hatten, verstummten auf einmal, da sie sahen,
daß ich nicht nachgab. Aber immer häufiger tauchten Gerüchte auf, die besagten,
ich sei schuld am Tod des früheren Kadis. Vergebens suchte ich nach den Leuten,
die sie verbreiteten, es war, als wollte ich Wind fangen. Hatte es jemand
einfach so gesagt, als er meinte, keiner würde zur Verantwortung gezogen, oder
hatten sie es schon früher gewußt, und jetzt, da sie es brauchten, holten sie
es hervor? Vielleicht hätten sie mich gar nicht genommen, wenn ich vollkommen
rein gewesen wäre.
    Ich weiß nicht, vielleicht hätte ich
auch noch nachgegeben, bei all meinem Trotz und Eigensinn und dem hohen
Schutz, dessen ich sicher war; aber es fragte sich, ob sie nun noch zu einer
Übereinkunft bereit gewesen wären. Wir hatten schon angefangen, einander zu
belauern und zu jagen.
    Unruhe bereitete mir auch der
Muselim, der frühere wie der jetzige. Der frühere saß in seinem Dorf, drohte
und schickte

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