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Der Derwisch und der Tod

Der Derwisch und der Tod

Titel: Der Derwisch und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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Briefe nach Stambul. Der jetzige, der schon einmal das Muselimsamt
innehatte und wußte, auf wie schwankendem Grund er stand, ließ listig alles an
sich vorbeigehen und trat keinem zu nahe, der ihm irgendwie würde schaden
können. Ich erfuhr, daß er sogar seinem Vorgänger einen Wink gegeben hatte,
sich zu verstecken, bevor er Sejmenen ausschickte, die so tun mußten, als
suchten sie ihn. Und keiner verübelte ihm das.
    Vor den Städtern scheute ich zurück.
Ein wenig deswegen, weil ich sie verachtete, mehr aber deswegen, weil ich gut
im Gedächtnis hatte, wieviel Böses und zerstörerische Wut in ihnen liegt. Ich
brachte es nicht mehr fertig, mit diesen Menschen zu sprechen, denn ich wußte
nicht, wer sie sind, sie wiederum spürten, daß ich sie nicht liebe, und
bedachten mich mit toten Blicken, als wäre ich eine Sache.
    Ich ging zum Mufti. Alles war so wie
damals, als ich versuchte, meinen Bruder zu retten, indem ich vor ihm den
Narren spielte. Nur daß ich es diesmal nicht für nötig hielt, mich zu
erniedrigen, wenigstens nicht so sehr. Er fragte: Was für ein Muselim? Was für
ein Kadi? Oder er fing an, vom Stambuler Mulla zu sprechen, als wäre das der
einzige Mensch, den er auf der Welt kennt. Und einmal – es war wie der
grausigste Scherz – holte er, in seltsamer, verspäteter Gedankenverkettung,
meinen Bruder Harun aus dem Gedächtnis und fragte mich, ob er aus der Festung
freigelassen sei. Malik blickte auf ihn wie auf eine Schatzkammer der Weisheit.
Schließlich entließ er mich mit einer ungeduldigen Bewegung der gelben Hand,
und ich besuchte nie mehr den Bedauernswerten, der, hätte er nicht das Amt des
Mufti bekleidet, ein ganz gewöhnlicher Dummkopf gewesen wäre. Malik verbreitete
das Gerücht, der Mufti könne mich nicht leiden. Alle glaubten daran, weil sie
es so wollten.
    Ich war entschlossen gewesen, auf
die Bezahlung für mein Amt zu verzichten, aber ich mußte diese schöne Absicht
fallenlassen. Ich umgab mich mit Vertrauensleuten, damit ich nicht im Dunkeln
tastete, und sie versorgten mich ausgiebig mit beunruhigenden, häßlichen
Gerüchten, die sie gehört oder erdacht hatten. Alle machten es so, und alles
wußten wir voneinander, oder wir glaubten es zu wissen. Ich bezahlte Kara-Zaim
dafür, daß er mir berichte, was er beim Mufti hörte. Gott weiß, wer von meinen
Leuten meine Worte belauschte, für andere.
    Einzig Mula Jusuf, den ich aus
Vorsicht und wegen seiner schönen Handschrift bei mir behielt, schweigt und tut
ruhig seine Arbeit. Ich glaube, er ist mir treu, aus Angst. Doch ich beobachte
auch ihn.
    Ich lebte wie im Fieber.
    Immer unruhiger werdend, stürzte ich
mich in eine Geschäftigkeit, die ziemlich häßlich, aber erklärlich war. Um
Beschützer zu finden, begann ich Briefe an die hohen Beamten des Wesirs, an den
Wesir selbst, an den Silahdar des Sultans zu schreiben, ihnen Geschenke und
Beschwerden zu schicken. Die Geschenke waren
nützlich, die Beschwerden aber ärgerlich. Ich wußte das, aber ich konnte nicht
anders, es war, als hätte ich die Einsicht verloren. Es waren Warnungen,
man solle der Gottlosigkeit Einhalt gebieten, Ermahnungen, daß man den
bedrohten Glauben rette, verzweifeltes Flehen, man möge mich nicht allein an
diesem Orte lassen, der so wichtig für das Reich sei, und
wie sehr ich auch die Schädlichkeit dieser Beschwörungen und Verwünschungen
spürte, die ich nicht mit dem Angebot der Bundesgenossenschaft oder
mächtigerer Freundschaft oder bedeutenderer Vorteile verbinden
konnte, ja mit denen ich sogar enthüllte, wie allein und ohnmächtig ich war, so
fühlte ich doch zugleich eine unbeschreibliche Befriedigung darüber, daß ich
sie in die Welt schickte und Entscheidungen darüber erwartete. So mag ein
belagerter Heerführer, der seine Armee verloren hat, Hilferufe ausschicken und
auf Ersatz warten.
    Muß ich erst sagen, daß mir das
nicht half?
    Es brach nur dem früheren Muselim
den Hals, denn auf mein Bitten,daß mit der hiesigen Gesetzlosigkeit Schluß gemacht werde, traf der Defterdar [32] des Valijas ein, lud den Muselim vor und
schickte ihn unter Bewachung nach Travnik, wo er dann erdrosselt wurde.
    Auch an diesem Tod gab man mir die
Schuld. Als Gegenleistung verlangte der Valija von mir den unbedingten
Gehorsam, der ihm hier seit langem verweigert wurde. Um mich zu retten, sagte
ich zu.
    Ich dachte auch daran, alles
aufzugeben und mich zurückzuziehen, aber ich wußte, es war zu spät. Sie würden
mich erledigen, sobald ich aus dieser

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