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Der Derwisch und der Tod

Der Derwisch und der Tod

Titel: Der Derwisch und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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Blicke der
Menschen waren nicht wie früher. Schwer fiel es, sie auszuhalten, unablässig
erinnerten sie an das, wovon ich wünschte, daß sie es nicht wüßten. Umsonst
bemühst du dich, rein und frei zu bleiben, einer der Deinen wird dir das Leben
vergällen.
    Ich verließ die Čaršija [13] , nahm
den Weg am Fluß entlang, folgte dem Wasser, zwischen Gärten und dem flachen
Flußbett, hier kamen die Menschen nur eben vorbei, hielten sich nicht auf; am
besten wäre es, dem Wasser nachzulaufen, weit hinaus aus der Stadt, auf die
Felder zwischen den Bergen, ich weiß, der Gedanke an Flucht ist ein dummer
Gedanke, aber er löst sich wie von selbst, wenn es ihm zu schwer wird. Im
flachen Wasser schwammen kleine silberne Schmerlen, es sah aus, als wollten sie
nie größer werden, und das war gut so, ich blickte beharrlich auf sie, ohne
stehenzubleiben, meinen Weg nach ihnen richtend, obgleich es nicht der rechte
war, ich hätte nach der anderen Seite gehen müssen, aber ich kehrte nicht um,
immer hat man noch Zeit genug für etwas, das einem unangenehm ist.
    Schön wäre es, Landstreicher zu
sein. Er kann immer gute Menschen suchen und Gegenden, die ihm gefallen, in ihm
steckt eine heitere Seele, die offen ist für weiten Himmel und freien Weg, der
nirgendwohin führt, der überall hinführt. Hielte den Menschen doch nicht der
Ort, den er sich angeeignet hat.
    Weiche von mir, abscheuliche
Ohnmacht, du führst mich in die Irre mit Trugbildern, als würden mir Lasten
genommen, mit Bildern, die nicht einmal Wünsche sind.
    Auf dem Weg hinter mir hörte ich
plötzlich dumpfes Hufgetrappel, als käme es unter der Erde hervor. Eine
gewaltige Rinderherde nahm ihren Weg am Fluß in einer Staubwolke.
    Ich trat durch ein Gartentor, um die
gehörnte Gewalt vorbeizulassen, die hundertköpfige, blinde und wahnwitzige, die
mit geschlossenen Augen unter den Peitschenhieben der Treiber vorwärts stürmte.
    Der Herde voran ritt Hasan – in
einem leichten roten Mantel, hoch aufgerichtet, heiter, einzig er ruhig und
lächelnd in dem Gedränge, in diesem aufgeregten Muhen, Schreien, Fluchen, das
im Flußtal widerhallte.
    Immer derselbe.
    Auch er erkannte mich, er trennte
sich von der Herde, von den Treibern, von der Staubwolke und ritt in leichtem
Trab zu dem Tor, hinter dem ich stand.
    „Gerade dich möchte ich nicht gern
zerstampfen lassen", sagte er lachend. „Auf einen andern käme mir's nicht
an."
    Er sprang vom Pferd, leicht, als
wäre er eben erst aufgebrochen, und umarmte mich fest. Seltsam und unbehaglich
war mir zumute, als ich seine Hände wie eine Zange meine Schultern umfassen
fühlte, er zeigte immer unverhohlen seine Freude. Und gerade das wunderte mich,
diese Freude. Galt sie mir, oder teilte er sie nach allen Seiten aus, jeden im
gleichen Maße bedenkend? Grundlose Lebensheiterkeit, die überschwappt wie
Wasser, ohne Wert, weil sie allen gehört.
    Er kehrte gerade aus der Walachei
zurück, monatelang war er unterwegs gewesen, ich fragte ihn danach, obgleich
ich es wußte – nur um etwas zu sagen. Gestern abend war ich bereit gewesen, ihn
seiner Schwester zu opfern.
    „Du bist schmaler geworden",
sagte er.
    „Ich habe Sorgen."
    „Ich weiß."
    Woher konnte er es wissen? Beinahe
drei Monate war er in fremden Ländern umhergezogen, hatte, Viehhandel treibend,
Tausende von Meilen zurückgelegt, und kaum war er angelangt, hatte er alles schon
gehört. Ich dagegen hatte geglaubt, nicht einmal alle Menschen in der Stadt
wüßten es. Immer wissen alle von Unglück und bösen Dingen, nur das Gute bleibt
verborgen.
    „Warum ist er eingesperrt?"
    „Ich weiß nicht. Ich glaube nicht,
daß er etwas Böses hat tun können."
    „Hätte er etwas Böses getan, so
wüßtest du's."
    „Er war ein stiller Mensch",
sagte ich – ich hatte ihn nicht verstanden.
    „Die Menschen bei uns leben still,
aber plötzlich trifft sie das Unglück. Es tut mir leid, seinetwegen und
deinetwegen. Wo ist er jetzt?"
    „In der Festung."
    „Ich habe sie aus der Ferne gegrüßt,
hatte nicht daran gedacht, was in ihr ist. Heute abend komme ich in die Tekieh,
wenn es dich nicht stört."
    „Warum sollte es mich stören!"
    „Wie geht es Hafiz Muhamed?"
    „Gut."
    „Er wird uns alle noch
begraben." Wieder lachte Hasan.
    „Wir erwarten dich heute
abend."
    Sie würde mir nicht helfen und mich
auch nicht stören, seine leere, fruchtlose Güte. Alles an ihm war leer und
unnütz, das ruhige Gemüt und die heitere Stimmung und der klare Verstand – leer
und

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