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Der Derwisch und der Tod

Der Derwisch und der Tod

Titel: Der Derwisch und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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oberflächlich. Aber er war der einzige Mensch in der Stadt, der ein Wort
des Mitgefühls zu mir gesprochen hatte, ein nutzloses, doch gewiß aufrichtiges
Wort. Jedoch – ich schäme mich, es zu sagen – es glich einem Almosen, und es
wärmte mich nicht und rührte mich nicht.
    Er ritt davon, wieder vor den
Rinderhörnern her, die gesenkt waren wie zum Angriff, eingehüllt von Staub, der
gleich einer grauen Blase über den Tieren schwebte und sie verbarg. Ich hatte
Abstand zu ihm gehalten, wegen der Sache gestern abend und wegen dessen, worauf
ich wartete.
    In Gedanken wandte ich mich über die
Holzbrücke zum anderen Ufer, in die Stille friedlicher Gassen, wo der Schritt
einsam bleibt und die Häuser im Gezweig der Bäume hinter den hohen Umzäunungen
versteckt stehen, als zöge sich eines vor dem andern zurück in Einsamkeit und
Frieden. Gar nichts hatte ich dort zu tun, nur fort wollte ich, alles von mir
schieben, noch bevor ich das geringste versucht hatte. Vielleicht wäre ich
wirklich fortgegangen, hinüber auf die andere Seite, hinein in die toten,
versteckten Gassen, das wäre ein leichterer Weg gewesen, doch da hörte ich aus
der Čaršija erschrecktes Trommelschlagen, anders als das vom
Zigeunerviertel, und den gepreßten Klang des Horns vom Uhrturm, ganz außer der
Zeit, dazu verworrene, undeutliche Stimmen, die in gemeinsamer Not einander
zuriefen, es glich einem umgestoßenen Bienenkorb, die aufgestörten
menschlichen Bienen summten, flogen fort, sich zu retten, und kehrten zurück,
um zu verteidigen, Flüche wurden laut und Hilferufe. Über der Stadt stieg
langsam eine schmale graue Rauchfahne auf, das menschliche Jammern schien,
sichtbar geworden, in die dünne Strähne eingeflochten zu sein, um sie herum
wirbelten, von Geschrei und Hitze aufgescheucht, Schwärme von Tauben.
    Bald erstarkte die Feuersäule und
begann sich mit dichten, schwarzen Wolken über den Häusern auszubreiten. Die
Flamme hatte sich befreit und sprang nun, mitleidlos, grausam, entfesselt, mit
unverhohlener Freude von Dach zu Dach, sich hinwegsetzend über Geschrei und
Angst der Menschen.
    Ein Trieb der Natur war es, daß ich
vor dem Unglück erzitterte, immer sind wir bedroht, immer geschieht etwas
Schlimmes, doch dann schloß ich mich ab mit meiner eigenen Not, die schwerer
wog als diese da und auch wichtiger war, beinahe zufrieden begann ich auf das
Feuer zu blicken, in der Hoffnung, die Menschen mögen vor ihm machtlos bleiben,
so daß alles sich von selbst entscheiden würde, auch das, was mich betraf. Aber
das war ein flüchtiger, irrer Gedanke, später berührte er mich nicht mehr.
    Und jetzt, da ich Grund genug hatte,
vom Wege abzubiegen, nicht das auszuführen, was ich mir vorgenommen hatte,
jetzt beschloß ich, es nicht aufzuschieben. Ich dachte nicht lange darüber
nach, aber vielleicht rührte sich in mir die Hoffnung, daß es inmitten eines
solchen Unglücks, das die Menschen an die Eitelkeit ihres Tuns und an ihre
Ohnmacht vor dem göttlichen Willen erinnert, leichter sei, von Gnade zu
sprechen.
    Und ich hatte doch ein Recht, über
den eigenen Bruder das zu erfahren, was sie mir würden sagen müssen, was sie
jedem sagen würden, ich war verpflichtet, ihm, soviel als möglich, zu helfen.
Häßlich wäre es, bliebe ich abseits, jeder würde es mir verübeln. Wen hatte ich
außer ihm? Wen hatte er außer mir?
    Ich sprach mir selbst Mut zu,
begründete, bestätigte mir mein Recht und dachte zugleich daran, mir einen
Rückzugsweg offenzuhalten. Ich hatte nicht vergessen, was ich mir vorher
überlegt hatte: Daß ich für mich selbst fürchtete und ihn bedauerte, und ich
wußte nicht einmal, was vorrangig war, es fiel mir nicht leicht, das eine vom
andern zu trennen.
    Vor dem Amt des Muselims stand ein
Wächter mit ungehängtem Säbel und einer Pistole im Gürtel. Niemals war ich hier
gewesen, und ich hätte nicht an bewaffnete Wächter gedacht, die sich als
Hindernis in den Weg stellen.
    „Ist der Muselim in seinem
Amt?"
    „Wozu?"
    Ganz im geheimen hatte ich gehofft,
ich würde den Muselim nicht antreffen, in der Stadt wütete Feuer, und
sicherlich hatte er auch mancherlei zu tun, es wäre ein Wunder, würde ich ihn
gerade vorfinden, wenn ich ihn suchte; vielleicht hatte mich dieser verborgene
Gedanke überhaupt erst hergeführt: daß ich ihn nicht antreffen und wieder gehen
würde, den Besuch auf den nächsten Tag verschiebend. Als mich aber der Wächter,
die Hand am Pistolengriff, dreist nach dem fragte, was ihn

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