Der Derwisch und der Tod
mich nicht vorwurfsvoll anblikken?
Hilf mir, Gott, daß ich aus diesen Versuchungen als der gleiche hervorgehe,
der ich vorher gewesen bin. Den einzigen rechten Ausweg aber sah ich darin, daß
nichts geschehen sei.
Rettung und Frieden für Ibrahim,
Rettung und Frieden für Musa und
Harun,
Rettung und Frieden für Ilijas,
Rettung und Frieden für Ishak,
Rettung und Frieden dem
unglücklichen Ahmed Nurudin.
Die Menschen gingen hinaus, sich
räuspernd, leise flüsternd, sie verließen mich, ich kniete weiter vor meiner
Qual, allein – zum Glück, allein – zum Kummer, hatte Angst, diesen Ort zu
verlassen, wo ich mit der Unentschlossenheit kämpfen konnte.
Von draußen kamen die Geräusche
eines Menschenauflaufs, einer schrie, ein anderer drohte, ich will die Worte
nicht hören, will nicht wissen, wer schreit und wer droht, was in der Welt
geschieht, ist häßlich. Erhöre, Gott, das Gebet meiner Ohnmacht, nimm mir die
Kraft und den Wunsch, diese Stille zu verlassen, führ mich zurück in den
Frieden, den ersten oder den letzten. Ich hatte geglaubt, zwischen den beiden
gebe es etwas, da war einst ein Fluß und sanfter Nebel in seinen
Abenddämmerungen und Sonnenglanz auf seinen Weiten, er ist noch jetzt in mir,
ich dachte, ich hätte ihn vergessen. Doch offenbar vergißt man nichts, alles
kehrt zurück aus verschlossenen Fächern, aus dem Dunkel scheinbaren Vergessens,
und alles, wovon wir meinten, es gehöre schon niemandem, ist noch unser, wir
brauchen es nicht, doch es steht vor uns, schillernd in seinem vergangenen
Bestehen, uns erinnernd und verwundend. Und sich rächend für den Verrat. Zu
spät, Erinnerungen, umsonst tretet ihr hervor, nutzlos ist euer ohnmächtiger
Trost, euer Mahnen an das, was hätte sein können, denn was nicht war, hat auch
nicht sein können. Und immer sieht das schön aus, was sich nicht erfüllt hat.
Ihr seid ein Trug, der Unzufriedenheit gebiert, ein Trug, den ich nicht
vertreiben kann und will, denn er entwaffnet mich und schirmt mich mit stillem
Weh vor dem Leiden.
Der Vater wartet auf mich,
fassungslos vor Schmerz um den Sohn. Einzig er ist ihm noch geblieben, mich
gibt es nicht, auch ihn nicht, er ist allein, der alte Mann, wartet auf mich in
der Herberge, allein, früher haben wir gedacht, wir wären eines, jetzt denken
wir nichts. Zuerst werden mich seine Augen fragen, und ich werde antworten,
mit einem Lächeln, so weit wird meine Kraft reichen, um seinetwillen, man hat
mir gesagt, mein Bruder würde bald freigelassen, ich werde ihm Hoffnung auf
den Weg geben, warum soll er gebrochen fortgehen, gar keinen Nutzen hätte er
von der Wahrheit. Und ich werde traurig zurückkehren.
Ich atmete die frische Mainacht, die junge und
funkelnde, ich liebe den Frühling, dachte ich, ich liebe den Frühling, den
unverbrauchten und unbeschwerten, heiter und leichtsinnig lockend lädt er uns
ein, neu zu beginnen, Trug und Hoffnung jedes Jahr, neue platzende Knospen aus
alten Stämmen. Ich liebe den Frühling, schrie ich beharrlich im Innern, zwang
mich, es zu glauben; in früheren Jahren hatte ich ihn ferngehalten, jetzt aber
rief ich ihn, bot mich ihm dar, berührte eine Apfelblüte am Wege und einen
frischen, glatten Trieb, die Säfte murmelten in seinen zahllosen Äderchen, ich
fühlte sie fließen, ich wünschte mir, sie träten durch die Fingerspitzen in
meinen Körper über, damit sich auf meiner Brust eine Apfelblüte entfalte und
zartes grünes Laub in meinen Handflächen, damit ich weicher Apfelduft wäre und
stille Sorglosigkeit des Baumes, Arme voll Blüten würde ich vor den verzückten
Augen recken, sie dem nährenden Regen bieten, in der Erde verwurzelt, vom
Himmel genährt, von jedem Frühling erneuert, von jedem Herbst zur Ruhe
gebracht, gut wäre es, alles ganz neu zu beginnen.
Aber die Zeit des Beginnens ist vorbei,
der Beginn ist weder wichtig, noch wissen wir, wann er kommt, das bestimmen wir
später, wenn wir im Strudel sind, wenn sich alles von selbst fortsetzt, und
dann denken wir, es hätte auch anders sein können, doch es war nicht anders,
und wir drängen uns dem Frühling auf, um nicht an den Anfang zu denken, den es
nicht gibt, und nicht an die häßliche Fortsetzung.
Umsonst wanderte ich durch die
Gassen, vergeudete Zeit, die ich nicht hätte vergeuden dürfen, Hasan wartete
auf mich in der Tekieh. Am Tage hatte der Vater auf mich in der Herberge
gewartet, jetzt am Abend wartete Hasan in der Tekieh, an allen Pfaden, an
allen Kreuzwegen standen sie, ließen
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