Der Derwisch und der Tod
leeres Wort, das nicht zur Tat verpflichtet. Als es
mir aber nicht gelang, es solcherart zu beschränken, weil seine Aufrichtigkeit
unbezweifelbar war, fühlte ich Verdruß und Kränkung. Soviel Anteilnahme von
seiner Seite schien mir unpassend, unpassend und aufdringlich, weil es
unnatürlich war. Er wollte wohl meinen Eifer übertreffen, wies gleichsam darauf,
daß meine Sorge nicht ausreiche, bot sein Opfer als Hinweis auf meine geringe
Liebe, sprach über mich sein strafendes Urteil. Mich quälte dieses Gespräch,
und ich wünschte nur, daß es zu Ende gehe, wir konnten uns nicht verständigen.
Er verwirrte mich mit der unerwarteten Folgerung aus meinem Bericht von dem
Knaben, da er das entdeckte, woran ich nicht gedacht hatte, was aber gewiß der
Wahrheit entsprach, doch der Sinn all seiner Rede war Auflehnung. Nachdem ich
zu dieser Folgerung vorgedrungen war, verschloß ich mich, wurde ich eine
belagerte Festung, gegen deren Mauern vergebens die Pfeile flogen. Er war mir
kein Freund, oder er war ein merkwürdiger Freund, der mir die Wurzeln abhieb,
den Grund unter meinen Füßen abgrub. Es gibt keine Freundschaft zwischen
Menschen, die so unterschiedlich denken.
Diese bittere Erkenntnis (ich
brauchte sie freilich wie Luft, wie Arznei) half mir, ihn leichter abzuwehren
und ein schwieriges Gespräch zu beginnen, das ich immer wieder aufgeschoben,
an das ich aber ständig gedacht hatte.
Ich konnte ihn auch bitten, als
einen Freund, ich hatte ein Recht darauf, doch meine Gedanken gingen andere
Wege und machten das unmöglich; ich konnte es ihm bestellen als etwas, was
andere mir aufgetragen hatten, was mich aber offenbar nicht betraf, dann aber
hätte ich viel Mühe gehabt, meine Bitte vorzubringen, und alles wäre häßlich
herausgekommen. Am besten würde ich es so nehmen: Er ist nicht mein Freund,
das ist gewiß, und ich werde ihm eine fremde Forderung übermitteln, von der ich
Nutzen erwarte. Vielleicht hatte ich auch deshalb vor wenigen Augenblicken
meinen Verdruß nicht gezeigt; denn ich hätte ihn gegen mich aufgebracht und die
Aussichten auf Erfolg verringert.
Während ich mich zum Gehen wandte,
sagte ich, so als fiele es mir gerade ein, ich sei bei seiner Schwester
gewesen, sie habe mich kommen lassen (er wisse es, warf er ein, und so gab er
mir zu verstehen, daß ich würde mehr sagen müssen, als mir vielleicht nützlich
war), und sie habe mich gebeten, ihm zu sagen, daß ihn sein Vater enterben
wolle (auch das wisse er, meinte Hasan lächelnd) und daß es das beste wäre,
wenn er von sich aus auf das Erbe verzichte – der Leute wegen, vor dem Kadi,
damit es weniger Schande gebe.
„Für wen weniger Schande?"
„Ich weiß nicht."
„Ich werde nicht verzichten. Sollen
sie tun, was sie wollen."
„Vielleicht ist es so am
besten."
Warum sollte ich es verbergen, ich
hatte mich darauf verlassen, daß die Vermittlung in dieser häßlichen
Angelegenheit mir helfen würde, mir und meinem Bruder. Als er es ablehnte, kam
er mir grob und starrköpfig vor, und es kostete mich große Anstrengung, ihn in
seinem Entschluß zu bestärken. Schwer war es, das Wort ätzte mir die Kehle wie
Gift, aber ich konnte nicht anders – ich hätte es mir nicht verziehen, wenn er
mein Spiel bemerkt hätte. Falsch hatte ich es angefangen, alles hatte ich
durcheinandergebracht, ich hätte ganz einfach sprechen sollen, von Mensch zu
Mensch. Auch wenn er es mir abgeschlagen hätte, wäre es keine Schande gewesen,
jetzt aber hatte ich alles verdorben. Die Gelegenheit, auf die ich so lange
gewartet hatte, war unwiederbringlich verloren, und ich stand ohnmächtig da.
Doch gerade, als ich jede Hoffnung
aufgegeben hatte, als ich meinte, dieser Besuch sei sinnlos gewesen, da fiel es
ihm ein:
„Wenn ich auf das Erbe verzichte,
würde dann mein Schwager, der Kadi, deinem Bruder helfen?"
„Ich weiß nicht, darüber habe ich
nicht nachgedacht."
„Ja, so werden wir's machen! Er soll
dir helfen, und ich werde auf alles verzichten. Vom Minarett werde ich's rufen,
wenn's verlangt wird. Übri gens ist es mir ganz gleich, so oder so – sie
werden mich doch nichts erben lassen."
„Du könntest Klage einreichen. Du
bist der erste Erbe, hast der Familie nichts angetan, der Vater ist krank,
leicht wäre es, zu beweisen, daß er alles unter Druck tut."
„Ich
weiß."
Ich nahm alle Kräfte zusammen, dies
zu sagen, zwang mich mit Mühe, anständig zu sein, schon zum zweitenmal. Ich
wollte ihm gleich sein, wollte, daß
ich mir später,
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