Der Derwisch und der Tod
dem
kannst du tausend Ausreden vorsetzen. Wenn du aber in der Folterkammer
steckst, droben in der Festung – bei Gott, da ist's schwerer. Und erst recht,
wenn du weißt, daß Schuld an dir ist."
„An mir ist keine Schuld."
„Na aber, das stimmt nun auch wieder
nicht. Keine Schuld? Überleg doch mal. Na, kommt manchmal der Hasan, der
Viehhändler, in die Tekieh? Jawohl. Führt ihr da so bestimmte Gespräche?
Jawohl. Und dann ..."
„Und du schämst dich nicht?"
„Ich schäm mich nicht, Effendi. Und
dann, hat sich mal im Tekiehgarten ein Flüchtling versteckt? Jawohl, hat sich
versteckt. Ist er ausgerissen? Jawohl, ausgerissen. Und wer hat ihm geholfen
auszureißen?"
„Ich habe die Stadtwächter holen
lassen."
„Zu spät hast du sie holen lassen.
Und von andrer Schuld will ich gar nicht erst reden. Da sagst du noch: An mir
ist keine Schuld! Auf der anderen Seite, hast du schon mal jemandem deswegen
Rede und Antwort stehen müssen? Nein, niemandem. Siehst du, drum sag ich, hör
auf, stürz dich nicht ins Unglück. Und wenn du nicht aufhören willst, 's ist
deine Sache, nicht? Meine Sache ist's, daß ich dir's sage."
„Bist du fertig?"
„Was willst du mehr? Für einen
klugen Menschen wäre auch das mehr als genug. Wenn du's aber brauchst, wird
sich noch manches andere finden, verlaß dich drauf. Anfangs fragen alle so:
Bist du fertig? Später fragen sie nicht mehr. Ich hab tapfere Menschen gern,
bloß, wo sind sie? Alle paar Jahre findet sich vielleicht mal einer, der ein
bißchen Rückgrat zeigt. Einer unter so vielen. Anspeien könnt man die Menschen!
So ist es. Also, sag nicht: Ich hab's nicht gewußt. Jetzt weißt du's."
Er musterte mich noch mit demselben
Interesse wie am Anfang, aber jetzt hatte er seine Aufgabe erfüllt und wollte
sehen, was er erreicht, ob er mir Angst eingejagt hatte.
Beunruhigt hatte er mich, aber Angst
spürte ich nicht. Sie wurde unterdrückt von der Wut über den widerlichen
Auftritt und die Kränkung. Gerade der trotzige Wille, auszuharren, stellte sich
ein, hervorgerufen von dem aufblitzenden Gedanken, daß es ihnen darauf ankomme,
mir das zu verwehren, was ich mit vollem Recht tat. Das bedeutete, daß sie sich
ihrer Sache nicht sicher wären, daß sie sich fürchteten. Denn wäre es nicht so gewesen, warum hätten sie mich
dann gewarnt? Sie hätten getan, was sie wollten, ohne Rücksicht auf das, was
ich unternähme oder spräche. Das bestätigte meine innere Gewißheit, die ich
schon lange hatte: daß ich etwas vorstellte, hier an diesem Ort, im
Derwisch-Orden, daß ich nicht unbeachtet und bedeutungslos durch die Welt
gegangen sei. So dumm also waren sie nicht, sie wußten wohl, es wäre ihr
Schaden, wenn sie mich angriffen, offen würden sie dann zeigen, daß ihnen
nichts heilig sei, nicht das Heiligste, nicht das Treueste – nein, sie würden
es nicht tun, sie hatten keinen Grund.
So sagte ich mir, während ich auf
die Tekieh zuging, mit gewachsenem Selbstvertrauen, es sei sogar gut, daß sie
mir den Kerl geschickt hatten – so verrieten sie, daß sie Angst hatten, mit der
Kränkung aber stachelten sie meine Entschlossenheit an. Freilich, ich wußte,
daß ich ihnen nicht viel Zeit lassen durfte, gegen mich zu handeln, ich mußte
ihnen zuvorkommen bei dem, der alles entscheiden konnte. Wäre es nicht Nacht
gewesen, ich hätte mich in diesem Augenblick aufgemacht. Ich freute mich über
die Entschlossenheit, nicht zu warten, mich nicht tatenlosem Trauern und ohnmächtigem
Hoffen hinzugeben, sondern das zu tun, was ich vermochte. Ich durfte nicht wie
ein Mondsüchtiger durch die Gassen wandeln, mit gelähmtem Willen, als Krüppel.
Der Mensch ist nicht das, was er denkt, sondern das, was er tut.
Als ich aber das schwere Eichentor
geschlossen und den Riegel vorgelegt hatte, als ich mich in der Sicherheit des
Tekiehgartens fand, da überkam mich, wider alles Erwarten, wider die Logik –
da mich doch hier all das Vertraute schützte – eine quälende Unruhe, ganz
plötzlich, fast ohne jeden Übergang, so als hätte ich, während ich das Tor
öffnete und schloß, den Riegel vorlegte und prüfte, ob er auch recht in seinem hölzernen
Bett liege, den Gedanken entweichen lassen, der mir den Mut stärkte.
Verschwunden war er, in die Nacht entflogen wie ein scheuer Vogel, und was sich
einstellte, war Unruhe, ganz ähnlich der Angst, erst jetzt, da es schon vorbei
war, ich wußte nicht, warum, wagte gar nicht nach den Gründen zu forschen,
vielleicht fürchtete ich gerade
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