Der Derwisch und der Tod
erkundigte sich Hafiz Muhamed lächelnd.
„Ich habe es versucht. Ich wollte
ihm aufzählen, auf wieviel verschiedene Arten die Menschen elend werden
können. Und ich wollte ihn fragen, wen meine Lebensart stört. Mir ist sie lieb
wie ein unansehnlicher, ausgetretener Schuh. Kann sein, daß er Wasser
durchläßt, kann sein, daß er lächerlich aussieht, aber er macht dir keine
Hühneraugen, es kommt nicht vor, daß du ihn unterwegs ausziehen möchtest, du
merkst nicht einmal, daß du ihn trägst. Warum soll ich mir vom Leben
Hühneraugen und Alpdrücken machen lassen?"
„Sagen wolltest du ihm das? Aber
sehen wolltest du ihn nicht."
„Hätte ich's ihm denn sagen können,
ohne ihn zu sehen? Zuerst wollte ich ihn sehen, denn das kommt zuerst, bei ihm
aber kam zuerst, daß er mich nicht sehen wollte, und so habe ich meine beiden
Wünsche ungenutzt zurückgenommen."
„Hat er dir's selber gesagt?"
„Er hat seine Worte in fremdem Mund
geschickt. Sie rochen nach dem Vater, und sie rührten mich so sehr, daß ich den
Mund, der sie brachte, am liebsten geküßt hätte, so jung und unschuldig war er
– er wußte nicht einmal, was er trug."
„Du mußt wieder hingehen."
„Des Mädchens wegen?"
„Wie du willst." Hafiz Muhamed
lächelte. „Nur hingehen mußt du."
„Wie oft muß ich gehen? Wie oft ist ein
Sohn umsonst zu gehen schuldig?"
„Immer noch einmal."
Hasan musterte ihn mißtrauisch und
fragte:
„Warst du bei meinem Vater?"
„Ja"
„Also doch. Und warum? Willst du
zwei Dickköpfe zusammenbringen, damit eine fade Versöhnung herauskommt?"
„Mag herauskommen, was will. Ich
habe ihm gesagt, du kommst heute. Sprich mit ihm. Einen Vater kann man leicht
rühren."
„Ja, besonders meinen."
Mit Unbehagen erinnerte ich mich
meines Gesprächs mit dem Mufti, es glich ein wenig dem, das ich jetzt hörte,
doch ich hatte im Zwang gehandelt, und was lag hier vor?
Mit Wehmut sagte ich mir, daß er
sich vielleicht mit seinem Vater versöhnen würde, und mit einem Körnchen Neid:
Er wird mich vergessen.
Ich nahm die Waschung vor und machte
mich auf den Weg zur Moschee.
Wolken standen am Himmel in dieser
Abenddämmerung, ich erinnere mich genau, denn ich blickte hinauf wie ein Bauer,
das tat ich nach uralter fremder Gewohnheit, die in mir noch nicht verkümmert
war, obgleich ich sie nicht brauchte. Ich konnte auch einen Wetterumschlag um
Tage im voraus wittern. Diesmal täuschten mich die Wolken, sie überlisteten
mich – allzusehr war ich mit mir selbst beschäftigt. Ich wünschte einfach, daß
es wolkig sei, daß schlechtes Wetter käme, vielleicht bemerkte ich darum gar
nicht, wie sich das Unwetter schon zusammenzog. Ganz unvernünftig hoffte ich,
mein Vater würde sich bei Regenwetter nicht auf den Weg in die Stadt begeben.
Der Tag ermattete, im Westen war der
Himmel noch rot. Ich erinnere mich, gerade weil diese Himmelsröte den
Hintergrund bildete, der die Gestalten hervorhob: Ich erblickte vier Berittene
am Ende der Gasse. Schön sahen sie aus, wie auf roter Seide gestickt, wie
angeheftet an den leuchtenden Grund des Himmels, vier einsame Krieger schienen
hier auf weitem Felde zu stehen, vor der Schlacht, mit kaum sichtbaren Bewegungen
die Pferde beruhigend.
Als ich auf sie zuschritt, bäumten
sich die Pferde auf, angestachelt von Stößen, die ich nicht sah, und stürmten
vorwärts, nebeneinander, die schmale Gasse von der einen bis zur anderen Mauer
versperrend.
Gegen mich!
Ich war kein Feigling, früher, was
ich jetzt bin, weiß ich nicht, in dieser Lage aber hätten mir weder Tapferkeit
noch Feigheit geholfen. Ich drehte mich um, zum nächsten Tor war es weit, zehn
Schritt von hier, unerreichbar. Ich schwenkte die Arme, gab den Berittenen zu
verstehen: Anhalten, ihr stampft mich nieder! Sie aber schlugen mit Peitschen
auf die Pferdekruppen, hetzten sie, immer näher, die Erde dröhnte – nie im
Leben hatte ich schrecklicheres Dröhnen gehört, und das vierköpfige Ungeheuer,
aufgepeitscht und blutgierig, rückte unbegreiflich schnell näher. Ich
versuchte zu fliehen, vielmehr, ich dachte nur daran, doch in den Beinen war
keine Kraft, die Pferde bliesen mir in den Nacken, die Wirbelsäule hinab lief
mir ein eisiger Schauer vor dem Stoß, der mich gleich treffen, mich niederschmettern
würde, zerstampfen würden sie mich, ich taumelte an eine Mauer, und dort mich
anpressend, Halt findend, noch immer aber in ihrer Bahn, sah ich über mir vier
aufgerissene Pferdemäuler, riesig, rot, voll Blut und
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