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Der Derwisch und der Tod

Der Derwisch und der Tod

Titel: Der Derwisch und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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mich
über die Maßen aufzuregen, Hauptsache, es kommt nicht schlimmer, Hauptsache, es
ist damit abgetan. Und gierig lauschte ich auf ihre zusammenhanglosen
Gespräche: wie Mustafa sich immer wieder erkundigte, was denn geschehen sei,
denn er konnte nichts davon begreifen, und wie Hafiz Muhamed fassungslos
seufzte, ächzte und mich zwischendurch unbeholfen zu ermutigen suchte, dann
wieder wütend Mustafa anschrie oder irgendwelchen Unbekannten, nicht näher
Bezeichneten drohte, die einfach „sie" hießen. Diese seine stockend
ausbrechende Mißbilligung hielt in mir das Gefühl der Kränkung wach, des
Schlimmen, das man mir angetan hatte, und, als Mula Jusuf aus der Moschee
zurückkam und schweigend an der Tür stehenblieb,
festigte sich mein Wunsch, etwas zu unternehmen. Ich nutzte ihn sofort, weil
mich ein anderer Wunsch erschreckte; der Wunsch, nichts zu tun. So schrieb ich
eine Beschwerde, die für den Hauptmulla der Provinz bestimmt war, und gab sie
Jusuf zum Abschreiben.
    Ich legte mich nieder, doch der
Schlaf blieb meinen Augen fern. Sorgen bereitete mir die Beschwerde, noch lag
sie bei mir, ich war unentschlossen, ich wußte nicht, sollte ich sie abschicken
oder zerreissen. Werfe ich sie weg, so wird nach außen hin nichts weiter
geschehen. Dann aber wird alles Versteckte wieder lebendig werden, das
halberloschene Feuer könnte wieder aufflammen. Von neuem werde ich das
herzbeklemmende Dröhnen hören. Schicke ich die Beschwerde ab, so behalte ich
die Überzeugung, daß ich mich wehren, daß ich anklagen kann. Diesen Glauben
brauche ich.
    Es kam mir vor, als wäre ich im
Augenblick erst eingeschlafen, da weckten mich rücksichtslose Schritte im
Zimmer und das Licht einer Kerze. Über mir stand der Mann mit dem flachen
Gesicht, der mir die Drohung des Muselims gebracht hatte. Ein anderer Mann, ein
Unbekannter, hielt die Kerze.
    „Was wollt ihr?" fragte ich
erschrocken, aus dem Schlaf gerissen, verwirrt von ihrer Dreistigkeit.
    Er beeilte sich nicht mit der
Antwort, er sah mich spöttisch, neugierig an, wie an jenem Abend, zugleich
verschlagen-freundschaftlich, so als wüßten nur er und ich von einem lustigen
Streich, der uns verbindet und der uns Gelegenheit gibt, fröhlich zu sein, aber
nichts zu verraten. Der andere leuchtete mein Bett und mich ab, als wäre ich
eine Odaliske.
    „Er hat nicht auf mich gehört",
sagte der Mann fröhlich. „Dabei habe ich ihn ermahnt."
    Er nahm die Kerze und fing an, das Zimmer
abzusuchen, in die Bücher zu schauen. Ich glaubte, er würde sie achtlos
durcheinanderwerfen, doch er stellte alles sorgfältig an seinen Platz zurück.
    „Was suchst du?" fragte ich
beunruhigt – unbedingt mußte ich es erfahren. „Wer hat euch hereingelassen? Wie
könnt ihr es wagen, in eine Tekieh einzudringen!"
    Meine Stimme war sehr leise und sehr
unsicher.
    Der Mann sah mich verwundert an und
gab keine Antwort.
    Er fand die Beschwerde, las sie und
schüttelte den Kopf.
    „Was willst du damit?" fragte
er überrascht. Und gab sich selbst die Antwort: „Na, deine Sache."
    Die Beschwerde stopfte er in die
Tasche.
    Und als ich mich abermals empörte
und sagte, ich würde mich beim Mufti beschweren, sah er mich mitleidig an und
winkte ab, als habe er genug davon, einem naiven Menschen Erklärungen zu geben.
    „Deine Sache", wiederholte er.
„Los, zieh dich an!"
    Ich
glaubte, ich hätte nicht recht gehört. . „Sagtest du, ich solle mich
anziehen?"
    „Jawohl. Du
kannst auch so gehen, wenn du willst. Und mach schnell, bereite dir
und mir keine Ungelegenheiten."
    „Gut, ich
gehe mit. Aber jemand wird dafür zahlen."
    „So ist's
am besten. Zahlen – ja, zahlen wird immer einer."
    „Wohin
führt ihr mich?"
    „Hehe,
wohin wir dich führen!"
    „Was soll
ich den Derwischen sagen? Wann komme ich zurück?"
    „Nichts
wirst du sagen. Und zurück kommst du gleich. Oder nie."
    Kein grober
Scherz war das, sondern ein offenes Wort über greifbare Möglichkeiten.
    Hafiz Muhamed trat ins Zimmer,
erschrocken, fassungslos. Alles an ihm war weiß: die Strümpfe, das Hemd, das
Gesicht. Einem Leichnam glich er, er war aus dem Grabe
auferstanden, konnte nicht sprechen. Das mochte ein schlechtes Vorzeichen sein.
Ich erwartete etwas von ihm, aber ich wußte, es war unvernünftig.
    „Sie sind gekommen, mich
abzuholen", sagte ich und wies auf die beiden Männer, die auf mich
warteten, unerbittlich. „Ich bin bald wieder da, hoffe ich."
    „Wer sind
sie? Wer seid ihr?"
    „Los, los!" trieb mich der Mann
an.

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