Der Derwisch und der Tod
Schaum, und vier Paar
Pferdebeine, die mir um den Kopf fuchtelten, und vier harte Räubergesichter
und vier aufgerissene Räubermünder, rot
und blutig wie die Pferdemäuler, und vier Peitschen aus Büffelleder, vier
Schlangen, die gegen mich zischten, die mir Gesicht, Hals und Brust
umwanden, ich spürte keinen Schmerz, ich sah kein Blut, die Augen starrten
entsetzt das aufgeblähte Ungeheuer an, mit unzähligen Beinen und unzähligen
Köpfen. Nein! schrie etwas tonlos in mir auf, schrecklicher als Angst,
schwerer als der Tod, nicht einmal Gott kam mir in den Sinn, nicht sein
Name, es gab nur einen roten, blutigen, unbegreiflichen Schrecken.
Dann waren
sie fort, ich aber sah sie noch vor mir, sie blieben eingeprägt in das
blutrote Tuch des Himmels, blieben in mir, unter den Lidern, die brannten,
als hätte ich in die Sonne geblickt.
Ich konnte
nicht, ich durfte mich nicht rühren, ich fürchtete, ich würde aufs
Pflaster stürzen, es war mir unbegreiflich, daß ich aufrecht stand, denn ich
fühlte nicht die Beine unter mir.
Da tauchte
Mula Jusuf auf, stand neben mir, ich weiß nicht, woher. Er sah ganz
erschrocken aus.
„Haben sie
dich verletzt?"
„Nein."
„O
doch."
„Ganz gleich."
Sein
volles, gesundes Gesicht sah blaß aus, Bestürzung und Schmerz zeigten
sich in seinen Augen. War das meinetwegen?
Ein Glück
noch, daß gerade er auf mich stieß, vor ihm würde ich tapfer sein. Ich
wußte nicht, warum, aber ich mußte es. Vor jedem anderen hätte ich Furcht
zeigen können, vor ihm durfte ich es nicht.
„Gehen wir
in die Tekieh", sagte er leise, und mir kam zu Bewußtsein, daß ich
noch immer an der Wand stand, ohne Grund.
„Ich komme
zu spät in die Moschee."
„So kannst
du nicht in die Moschee. Ich werde dich vertreten, wenn du willst.
„Bin ich
blutig?"
„Ja"
Ich wandte
mich zur Tekieh.
Er faßte
mich am Arm, um mir zu helfen.
Ich
befreite den Arm. „Nicht nötig" sagte ich. „Geh in die Moschee, die Menschen
warten."
Er blieb
stehen, wie beschämt, und sah mich niedergeschlagen an.
„Bleib ein,
zwei Tage in der Tekieh, geh nicht heraus."
„Du hast
alles gesehen?"
„Ja"
„Warum
haben sie mich angegriffen?"
„Ich weiß
nicht."
„Ich werde
eine Beschwerde schreiben."
„Laß das,
Scheich Ahmed."
„Ich kann es nicht lassen. Ich würde mich vor mir selbst
schämen."
„Laß es, vergiß es."
Er sah mir nicht in die Augen, er
bat mich wie einer, der mehr weiß.
„Warum rätst du mir das?"
Er schwieg, wandte den Blick ab,
wußte nichts zu sagen, wenn es Furcht war, oder wollte nichts sagen, wenn er
mehr wußte, oder er bereute es schon, überhaupt etwas gesagt zu haben, wenn ihm
eingefallen war, daß es ihn nichts anging. Mein Gott, was hatten wir aus ihm
gemacht.
Seinetwegen hatte ich Angst und
Schwäche verborgen, seinetwegen hatte ich blutverschmiert in die Moschee gehen
wollen, seinetwegen hatte ich gesagt, ich würde eine Beschwerde schreiben.
Aufrecht wollte ich vor diesem jungen Menschen erscheinen, mit dem ich auf
seltsame Weise verbunden war. Er bedauerte mich, zum erstenmal. Und ich hatte
gemeint, daß er mich hasse.
„Geh", sagte ich, und ich
bemerkte, wie in seine Wangen rasch die Farbe wiederkehrte. „Geh jetzt."
Natürlicher wäre es gewesen, wenn
mich die Angst angesichts des unwahrscheinlichen Zwischenfalls beinahe
wahnsinnig gemacht hätte, doch wunderbarerweise überstand ich ohne Bruch den
ersten Augenblick, und obgleich ich alles in mir trug, gelang es mir, es
irgendwie zur Seite, irgendwohin in die Tiefe zu drängen und es für den
Augenblick abzutun. Schrecklich, sprach in mir ein naives Erinnern, aber es
wollte ihm nicht gelingen, etwas wieder lebendig zu machen. Ich war auch stolz
darauf, daß ich die Furcht versteckt hatte, und noch hielt sich in mir dieses
schöne Gefühl der Tapferkeit, das mich zwar nicht besonders sicher machte, mich
aber alles aufschieben ließ.
Während Mustafa und Hafiz Muhamed,
entsetzt und schaudernd, mich auszogen und wuschen, versuchte ich umsonst, über
das Zittern meiner Hände und Beine Herr zu werden, immerhin hatte ich Kraft
genug, mich nicht zu schämen und mich nicht zu fürchten. Das von Asche bedeckte
Feuer rührte sich ein paarmal, wollte hell aufflammen, jenes schreckliche
Dröhnen und Bangen wurde mir von neuem lebendig, aber es gelang mir, alles
wieder auf das zurückzuführen, was gewesen ist, doch noch nicht schmerzt.
Vorbei, sagte ich mir, nichts ist geschehen, was mir Anlaß geben könnte,
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