Der Diamant des Salomon
Bastard.
Das weiße Haar unter Harrys Lippen schmeckte stumpf. Einer von ihnen, entweder er oder sein Vater, hatte zu zittern begonnen.
4. Alfreds Notizbücher
Man hatte Harrys Vater in ein Zimmer am Ende des Korridors gelegt, das voller Monitore zur Überwachung der Herzfunktionen war. Jetzt kam Alfred seinem Sohn nicht mehr arrogant vor. Die linke Hälfte seines Körpers war gelähmt. Er hatte sein Gebiß nicht mehr im Mund, gähnte viel, und wenn er ausatmete, dann flatterte seine Oberlippe auf eine Weise, die Harry kaum ertragen konnte.
Eine Krankenschwester kam ins Zimmer und beugte sich über das Bett. »Mr. Hopeman«, sagte sie laut, aber Alfred befand sich immer noch im Koma.
Als sie gegangen war, versuchte es Harry.
»Papa.«
Die Augen seines Vaters öffneten sich und starrten Harry an, ohne ihn wirklich zu sehen. »Ich bitte um Entschuldigung, Doktor Silberstein«, sagte er auf Deutsch.
Warum entschuldi g t e sich sein Vater bloß m it Panik in der Stim m e, und wer war dieser Silberstein? Alfred träu m te und m ur m elte unverständliche, deutsche Sätze vor sich hin.
In seiner Lunge staute sich Flüssigkeit, die hörbar blubberte, wenn er at m ete, und die Ärzte ka m en und steckten einen häßlichen, kleinen Schla uc h in seinen Hals u n d saugten da m it die Gifte aus seinem Körper.
Später öffnete er die A ugen und erkannte Harrys Gesicht. Er blickte gehetzt her u m . »I c h …« versuchte Alfred zu flüstern, aber es kam kein weiterer Laut. Die Augäpfel traten ihm hervor, seine Hand auf dem Laken zitterte. Verzweifelt versuchte er, s e inem Sohn etwas m itzut e ile n . Harry hob das Kissen und hielt Alfred ein Glas Wasser an die Lippen, aber d i eser war zu schwach, um z u trinken. Trotzdem gab ihm die Feuchtigk e it se ine Stim m e wieder.
»… hätte ich dir erzählen m üssen …«
» W as denn, Pa ? «
»… Dia m ant der Inquisi…«
»Sprich nicht, Pa. Ruh dich aus.«
»Makel.« A l fred be m ühte sich zu s prechen, bekam aber nicht m ehr als dieses eine W ort heraus.
»Der Dia m a nt der Inquisition hat einen Makel?«
Der alte Mann drückte die Augen zu und öffnete sie schnell wieder.
Harry wollte sicher sein.
»Der Di a m ant der Inquisition hat wirklich einen Fehle r ? «
Sein Vater atmete heftig und nickte.
»Das ist mir egal«, sagte Harry. »Zum Teufel mit Diamanten. Ruh dich jetzt aus, damit du wieder gesund wirst. Hast du verstanden?«
Alfred ließ den Kopf sinken. Seine Augenlider fielen wie Garagentore zu.
Harry schlief, neben dem Bett sitzend, ebenfalls ein. Kurze Zeit später tippte ihm die Krankenschwester nervös auf die Schulter. Als er hinüber zum Bett blickte, kam es ihm so vor, als wäre sein Vater nur mal eben spazierengegangen und hätte seinen Körper zurückgelassen.
Jeff k a m nach Hause und fühlte sich nicht wohl in seinem dunklen Anzug, aus dem er schon fast herausgewachsen war. Er trat auf Harry zu und u m ar m t e ihn wortlos. Sie schickten ihn gleich nach dem B e gräbnis wieder zurück ins Internat, und obwohl er p r otestierte, m erkte m an ihm seine Erleichterung an. Della, die den alten Mann sehr lieb gehabt hatte, weinte bitterlich an seinem Grab. Zusamm e n m it Harry u nd Essie hi elt sie die schiwe, die hebräische Trauerwoc h e, genaue s t ens ein. Mit den Füßen in Pantoffeln e m pfingen sie die Bes u cher vor einem verhängten Spiegel, u n d sie set z t e n sich statt auf Stühle auf kleine Bänkchen aus Pappendeckel, die ihnen das Begräbnisinstitut zu diesem Zweck geliefert hatte. Als Harry ein Junge gewesen war, saß m an in einem schiwe- Haus noch auf harten Holzkisten, streng nach der Vorschrift, daß Trauernde sich keine Beque m lichkeit gönnen dürfen. Die wegwerfbare Pappendeckelbank w ar eine degenerierte moderne Variante dieser alten Tradition, dachte Harry. Irgendwie wäre er lieber auf einer echten Holzkiste gesessen. Die ersten beiden Abende der Trauerw o che über war die W o hnung voller Leute aus der Industrie gewesen, die sich m it gedä m p ften Stimmen a uf Englisch, Jiddisch, Hebräisch, Französisch und Fl ä m isch unterhalten hatten. Dieses ba b ylonisc h e Sprachengewirr hatte so sehr dem Mur m eln an der Dia m a ntenbörse geähnelt, daß Harry es sogar als einen gewissen Trost e m pfunden hatte.
Essie war entschlossen, in orthodoxer W eise die vollen sieben Ta g e der Trauer einzuh a lten, aber H a rry f ühlte sich am dritten Tag bereits eingesp e r r t . Am Nach m ittag kam
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