Der Dieb der Finsternis
Zwei Wachmänner flankierten den Eingang, während drei Kameras auffällig auf zwei hohen weißen Metallpfählen thronten.
»Wo sind wir hier?«, fragte KC verwirrt.
Busch nahm das Navigationsgerät vom Armaturenbrett. Jetzt blinkten die roten Punkte beide in der Mitte des Bildschirms. »Wir sind auf der Jagd nach der Lederrolle mit der Karte.«
Er drehte sich zu KC um und hielt ihr einen kleinen Chip unter die Nase, der in etwa so groß war wie ein Stück Kaugummi. Dann legte er ihr das Teil in die Hand. »Der ist wasserfest. Die Batterie hält etwa achtundvierzig Stunden.«
KC musterte ihn verwirrt.
»Wenn du den kleinen Schalter an der Seite umlegst, wird das Ding aktiviert.« Buschs Riesenfinger ließen das stecknadelkopfgroße Knöpfchen an der Seite des Chips noch winziger erscheinen, als er es ohnehin schon war.
KC legte den Schalter um, und in der Mitte des Navigationsbildschirms begann ein dritter Punkt zu blinken. Sie grinste. »So ein Hurensohn.«
»Ganz meine Meinung.« Busch grinste.
KC runzelte die Stirn, als sie genauer auf den Bildschirm des Navigationssystems schaute. »Wenn einer in dem Haus da ist und einer in meiner Hand, wo ist denn dann der Dritte?«
Michael hielt die Lederrolle hoch, in der sich der Sultansstab befand. »Ich musste gestern hier drinnen einen installieren, für alle Fälle. Ich habe mir das Teil heute Morgen von dir ausgeliehen, um die Batterie auszuwechseln.«
»Warum hast du mir das nicht gesagt?«
»Ich wollte dich nicht wecken«, erwiderte Michael verlegen.
»Ich meine, dass in den ganzen Röhren Peilsender stecken.«
»Tut mir leid, das ist eine meiner Unarten.« Michael zuckte mit den Schultern. »Ich habe die Angewohnheit, Dinge für mich zu behalten. Ich habe noch nie mit einem Partner zusammengearbeitet.«
»Wenn wir einander nicht vertrauen können …« KC hielt inne und blickte Michael fest in die Augen. Sie brauchte den Satz nicht zum Ende zu bringen. »Du hast diese Dinger in die Transportrollen gesteckt«, sagte sie stattdessen.
»Ich hatte mir gedacht, dass Iblis versuchen würde, uns die Karte an irgendeinem Punkt abzuluchsen«, erwiderte Michael und stieg dabei über die Rückbank auf den Vordersitz des Wagens. »Ich hatte gehofft, dass er das tut.«
»Aber wie konntest du das wissen?«
»Es war eher eine Vorsichtsmaßnahme, die sich jetzt allerdings als glückliche Fügung erweist.«
KC blickte die Straße hinauf und auf die Villa. »Die Karte ist da drin?«
Michael nickte. »Und ich bin ziemlich sicher, dass da auch deine Schwester und Simon sind.«
»Können wir da sicher sein?«
»Nein. Aber ich weiß, wie ich es herausfinden kann.«
***
KC saß auf dem Dach des Kiritz Hotels, das Fernglas in der Hand. Sie hielt den Blick auf den Hof der Blauen Moschee gerichtet. Es war zwölf Uhr fünfzig; somit blieben noch zehn Minuten bis zum Beginn des islamischen Mittagsgebets, des Zhur , und bis zur vorgesehenen Übergabe des Hermesstabes an Iblis.
Ein öffentlicherer Ort als die Blauen Moschee war kaum zu finden. Die Moschee, die als eine der größten Touristenattraktionen Istanbuls galt, war im Jahr 1609 fertig gestellt und nach den wunderschönen blauen Mosaikfliesen benannt worden, mit denen die Wände ihres gewaltigen Innenraumes geschmückt waren. Sie war umgeben von sechs in den Himmel ragenden Minaretten: Vier geriffelte schlanke Türme, die jeder drei Balkone hatten, standen an den vier Ecken der Moschee; zwei weitere erhoben sich auf dem Vorplatz. Die dünnen, bleistiftartigen Bauwerke waren nahezu sechzig Meter hoch, stachen in den Mittagshimmel und waren das Wahrzeichen Istanbuls, wie der Eiffelturm das Wahrzeichen von Paris und die Freiheitsstatue das von New York City war. Das eigentliche Bauwerk bestand aus einer Vielzahl kleiner Kuppeln, die nach oben hin immer größer wurden und auf denen die gewaltige Hauptkuppel thronte, die in den Mittagshimmel ragte, dessen Licht sich auf der gewaltigen Fläche spiegelte.
An dieser Stelle hatte einst der Palast des Großwesirs Sokollu Mehmet Pasha gestanden. Sultan Ahmed I. hatte den Palast gekauft und zerstören lassen, um Platz zu schaffen für sein monumentales Werk, wobei die Grundmauern, die unterirdischen Gänge und Gruften unter dem historischen Gebetsort aber erhalten geblieben waren. Als KC jetzt auf das Bauwerk schaute und an dessen bewegte Geschichte dachte, wusste sie, dass dies hier der Ort war, an dem ihrer aller Reise vor vielen Jahren ihren Anfang genommen hatte. In
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