Der Dieb der Finsternis
und rief Busch an. »Lass uns loslegen.«
Im gleichen Moment produzierte der eben noch schneeweiße Bildschirm wieder ein Bild und zeigte deutlich den Garten und den Bürgersteig, der mitten in die Gartenanlage führte. Nach wenigen Sekunden sah Michael, wie Busch auf das Tor zujoggte. Für einen Mann, der bei einer Größe von eins fünfundneunzig über zweihundert Pfund wog, bewegte Busch sich immer noch wie ein Jüngling.
Michael drückte auf einen roten, kreisrunden Knopf auf der Sicherheitskonsole. Ein lautes Klicken ertönte, und die riesigen Eisentore öffneten sich zu den Seiten. Busch rannte hindurch und in das Wachhäuschen. Er zückte seine Sig Sauer, zog den Schlitten zurück, ließ das Magazin herausfallen, steckte es wieder hinein und entsicherte die Waffe.
»Wir haben es mit mindestens zwei zu tun«, sagte Michael, als er ein Walkie-Talkie vom Schreibtisch zog und sich den Kopfhörer ins Ohr steckte.
»Bist du plötzlich mit besonderer Sprachbegabung gesegnet?«
Michael sah ihn nur an.
»Du kannst doch kein Wort von dem verstehen, was die sagen.«
Michael blickte ihn immer noch an und brachte ihn damit zum Schweigen.
»Hast du irgendeine Vorstellung, wohin wir hier gehen?«
»Nein«, erwiderte Michael und schüttelte den Kopf.
»Dann nichts wie los.«
Beide Männer traten aus dem Wachhäuschen und schauten auf das Golfmobil. Ohne eine Wort zu verlieren, stiegen sie hinein und fuhren über die Auffahrt auf das Haus zu. Das von den hohen Mauern umschlossene Grundstück schien etwa zwanzigtausend Quadratmeter groß zu sein, und jeder einzelne Quadratzentimeter wurde von Profis in Schuss gehalten. Michael saß am Steuer, als sie seitlich an der Frontfassade des Hauses vorbei auf eine Garage dahinter zufuhren, die sechs Wagen Platz bot. Drei Autos standen darin: eine Mercedes-Limousine, ein Aston Martin Vantage Roadster und ein Maserati GranSport Spyder.
Ein Mechaniker rollte auf einem Liegewagen unter dem Spyder hervor und warf den beiden Fremden in dem nahenden Golfgefährt neugierige Blicke zu. Der kleine Kerl, der bestenfalls sechzig Kilo wog, quälte sich langsam auf die Füße, und der Wagen kam zum Stehen. Im nächsten Moment fiel ihm auf, dass der Wagen sich viel zu langsam bewegte. Sofort griff er nach der Waffe an seinem Hüftgurt, doch Busch sprang vom Beifahrersitz, riss dem Mann die Waffe aus der Hand und drückte ihn mit dem Gesicht nach unten auf den Asphalt. Michael fesselte und knebelte ihn mit Klebeband. Dann schnappte Busch sich den strampelnden Burschen, trug ihn am Hosenbund in die Garage und legte ihn in einem Lagerschrank ab.
Ohne ein Wort zu wechseln, setzten Busch und Michael sich beide wieder in den Wagen und fuhren zur Rückseite des Hauses. Dort bot sich ihnen ein spektakulärer Ausblick: Schiffe glitten vorüber, Jachten und Segelboote mit gebauschten weißen Segeln schnitten durch die blauen Wasser, die Kontinente trennten und das Schwarze Meer mit dem Marmarameer verbanden. Michael hatte nie gewusst, dass Istanbul solche Schönheit und einen derart atemberaubenden Blick auf eine der großen Metropolen der Antike zu bieten hatte. Als er jetzt von Asien aus auf die Meerenge des Bosporus blickte, wurde Michael einmal mehr daran erinnert, dass es verkehrt war, sich Städte immer nur als urbane Wüsten aus Beton und Glas vorzustellen. Das war ebenso unangebracht wie die Behauptung, New York sei eine eintönige Stadt.
»Man sollte doch meinen, dass er mehr Wachen hat«, sagte Busch.
»Stimmt, aber …«
Die Kugel prallte von der Vorderseite des Golfmobils ab. Michael und Busch stürzten sich vornüber von dem rollenden Fahrzeug herunter und krochen auf dem Bauch auf die seitliche Hausfassade zu. Michael zeigte mit dem Finger auf die vordere Ecke des Hauses und dann nach oben.
Busch kniete sich auf den Boden. »Gib alle fünfzehn Sekunden einen Schuss ab.«
»Was …«, begann Michael, aber Busch war bereits verschwunden und rannte um die Hinterseite des Hauses herum.
Ein weiterer Schuss peitschte. Michael feuerte zurück und zielte nach oben in die Richtung, aus der die Schüsse bisher gekommen waren, sah aber niemanden. Hoffentlich wusste Busch, was er tat. Aber sie beide hatten schon mehr als eine lebensbedrohliche Situation überstanden. Busch war immer für ihn da gewesen.
Michael hoffte, dass Cindy und Simon nichts passiert war. Obwohl er sie auf den Bildschirmen gesehen hatte, wurde er das Gefühl nicht los, dass er im Begriff war, in eine Falle zu tappen
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