Der Dieb der Finsternis
Weise.« Simon schwieg einen Moment. »Sie haben sich unterhalten«, fuhr er dann fort. »Und er hat ihr die Karte gezeigt und ihr alles darüber erzählt. Ich war gerade noch bei Bewusstsein, habe aber genau zugehört, was er zu sagen hatte. KC hat dich nicht betrogen. Aber ihre Schwester. Sie hat jeden betrogen.«
***
KC saß auf einem breiten Bett in der Heckkabine eines luxuriösen Privatflugzeugs.
Sie hatte das Four Seasons Hotel Istanbul mit den zwei ledernen Transportrollen verlassen; die eine war leer gewesen, in der anderen steckte der Sultansstab, den sie sich aus Michaels Hotelsuite geholt hatte. Sie ging auf die offene Tür der wartenden Limousine zu, zögerte aber einen Moment, bevor sie einstieg. Sie und der Chauffeur, der neben dem Wagen stand, funkelten einander zornig an, denn die Pistole, die sichtbar an seinem Gürtel hing, vermochte ihr keine Angst einzuflößen. Als es allen zu lange dauerte, wurde plötzlich in der schwarzen Mercedes-Limousine, die auf der anderen Straßenseite stand, eines der Fenster geöffnet, und KC sah Cindy, die zwischen zwei bulligen Schlägern saß, Iblis’ Männern. Mehr Druck brauchte man auf KC nicht auszuüben: Sie stieg in den Wagen.
Der Chauffeur brachte sie geradewegs zum Flughafen Istanbul-Atatürk, ohne dass beide während der fünfundzwanzigminütigen Fahrt auch nur ein Wort wechselten. Sie hielten an der Rückseite des privaten Terminals, in dem mit laufenden Motoren ein Royal Falcon Business Jet stand; die Auspuffgase umflimmerten die Tragflächen.
Der Chauffeur öffnete wortlos die Tür und bedeutete KC mit einer Geste, in die Maschine zu steigen. Sie nahm zwei Stufen auf einmal, lief die Gangway hinauf und betrat die Falcon. Eine blonde Stewardess führte sie in den hinteren Teil der Maschine in eine Privatkabine. Die Wände waren mit gemasertem Kiefernholz getäfelt, und in der Mitte stand ein französisches Bett. Bevor KC sich auch nur hätte umdrehen können, wurde die Tür zugeschlagen.
Inzwischen war über eine Stunde vergangen, und noch immer hatte niemand mit ihr gesprochen.
KC hielt die beiden Lederröhren fest in den Händen und fragte sich, wohin sie ihre Schwester dieses Mal verschleppt hatten.
Die Maschine ruckte an und begann zu rollen. Mit ohrenbetäubendem Lärm drehten die Motoren voll auf; dann schoss der Jet über die Startbahn und stieg steil zum Himmel. KC klammerte sich am Bett fest, während die Fliehkraft sie auf die Matratze drückte. Sie schaute aus dem kleinen Fenster und sah Istanbul tief unter sich zu zwei Halbinseln schrumpfen.
KC dachte an Michael und an die Wut und Verwirrung, die er empfinden musste, weil sie so plötzlich verschwunden war und das gestohlen hatte, um das sie so schwer gekämpft hatten, damit es Iblis nicht in die Hände fiel. Aber es ging um ihre Schwester; einmal mehr bestimmte Cindys Wohlergehen KCs Leben, wie es immer schon gewesen war.
Je höher der Jet in den blauen Himmel stieg, desto deutlicher erkannte KC, dass sie ihre einzige Chance auf ein richtiges Leben hinter sich ließ. Sie wusste, dass es kein Zurück mehr gab von dem Ort, an den man sie jetzt brachte, wo immer dieser Ort auch sein mochte, denn die Aussicht, dass sie überlebte, war gering.
Die Tür wurde geöffnet, und Iblis kam herein. Lächelnd blickte er KC an. Er hatte Blutspritzer im Gesicht, und seine Unterarme sahen aus, als wären sie mit tiefroter Farbe bemalt. Doch seine Hände waren überraschend sauber, was sich auf seltsame Weise vom Rest seines makaberen Erscheinungsbildes abhob. An der rechten Hand trug er einen kleinen Aktenkoffer aus Leder, als wäre er hergekommen, um geschäftlich ein bisschen mit KC zu plaudern.
»Wo ist meine Schwester?«, fuhr KC ihn an.
»Es geht ihr gut. Entspann dich.« Iblis stellte den Aktenkoffer auf den Nachttisch.
»Wo ist sie?«, wiederholte KC noch aggressiver.
»Sie ist vorn.«
»Ich will sie sehen«, verlangte KC.
Im nächsten Moment stand Cindy wie aus dem Nichts im Türrahmen. Sie sah weder mitgenommen noch erschöpft aus. Die Schwestern starrten einander an, ohne jede Regung, während die Sekunden verrannen.
Schließlich schloss Iblis die Tür und machte der peinlichen Begegnung damit ein Ende. Dann baute er sich vor KC auf und nahm ihr wortlos die beiden Lederrollen ab. Sein Blick irrte zwischen ihr und den beiden Behältnissen hin und her. »Der Lehrer ist immer der Stärkere.«
Er nahm den Deckel von der ersten Röhre, griff hinein und zog die Stange heraus. Er ging
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