Der Dieb der Finsternis
befand.
Während Michael die schlichte Machart bewunderte, fragte er sich, warum man die Tür nicht zusätzlich gesichert hatte, denn sie stand weit offen: Das stählerne Schloss war von Pistolenkugeln zerschmettert worden.
Wenn ein Raum, der Gold im Wert von mehr als einer Milliarde Dollar enthielt, kein Schloss besaß, welchen Wert hatte dann das, was sich in diesem Raum befand?
Michaels Frage wurde beantwortet, als er den Raum betrat. Er war wesentlich größer als einer der anderen Räume und die eigentliche Schatzkammer des Klosters. Dies hier war der Raum des Wissens, der Raum der Geschichte. Als Michael langsam umherging und den Blick schweifen ließ, wurde ihm bewusst, dass in diesem Raum Wissen aufbewahrt wurde, das weit älter war als alles, was der Menschheit jemals enthüllt worden war. Auf Regalen, die kein Ende zu nehmen schienen, lagen Schriftrollen und Pergamente, Velinpapiere und Bücher, sogar Steintafeln. Alle waren akribisch sortiert und in fünf verschiedenen Sprachen beschriftet: in Latein, Aramäisch, Englisch, in einer orientalischen Sprache sowie einer Sprache, die Michael unbekannt war: Die größten und ältesten trugen Schriftzeichen, die er nie zuvor gesehen hatte. Die Beschriftungen repräsentierten die Sprache im Laufe der Zeitalter, reichten von der Ursprache durch die gesamte Evolution und spiegelten den ständigen Wechsel in der Vorherrschaft der Weltkulturen.
Außerdem sah Michael schlichte Holztische, Bänke und Spiegel, die man strategisch so perfekt aufgestellt hatte, dass sie das Fackellicht reflektierten, das in sicherer Entfernung von den brennbaren Materialien aus den durchlüfteten Steineinbuchtungen fiel.
Michael ging umher, schaute sich die Beschriftungen auf den einzelnen Regalen an und fand Literatur über das Christentum und das Judentum, über den Hinduismus und den Buddhismus sowie über Religionen, von denen er noch nie gehört hatte. Außerdem gab es Literatur über Gebete, Meditation und göttliche Intervention sowie Hinweise auf und Beweise für das Leben nach dem Tod. Da waren handschriftliche Dokumente von Moses, Gautama Buddha und Jesus Christus, verlorene Evangelien und die philosophische Abhandlung des Mein Na.
Wenn die Zehn Gebote als Heiligtümer in der Bundeslade versteckt wurden, so war dieser Raum, im Inneren dieses Tempels, im Herzen eines der höchsten Berge der Welt, der Aufbewahrungsort eines Wissens, das tausendmal größer, sehr viel monumentaler und umso heiliger war. Die Welt hatte nie etwas gelesen, was Jesus selbst geschrieben hatte, nur die Interpretationen und Beobachtungen seiner Jünger und Chronisten, die Jahre später verfasst worden waren. Die Lehren Buddhas waren auf die gleiche Weise niedergeschrieben worden – von seinen Gefährten, nicht von ihm persönlich. Die Zehn Gebote waren das Einzige, wovon man wusste, dass Gott selbst sie geschrieben hatte.
Aber jetzt, in diesem Raum, durch die Heiligkeit und wahrhaftige Göttlichkeit dessen, was er enthielt … Es war, als hätte Michael die Bibliothek des Himmels betreten.
Das Material besaß nicht nur gewaltigen Umfang, es war auch allumfassend und beschäftigte sich mit den verschiedensten Spielarten des Glaubens und sämtlichen Ansichten und Interpretationen, was ein Leben nach dem Tod anging. Und da waren nicht nur Schriften über Gott und Allah, über das Paradies und das Streben nach Erleuchtung. Da waren Pergamente und Schriftrollen über die Teufel der Weltreligionen: Azazel, Luzifer, Abaddon, Beliar, Satan, Angra Mainyu, Asmodäus, Beelzebub und der islamische Name, dessen sich KCs Lehrmeister bemächtigt hatte, Iblis. Da waren Bücher über Schaitan, Baphomet, Mastema, Chutriel, Mephistopheles, den Anti-Christen. Sie klangen wie die Titel schlechter Horrorfilme, nur wusste Michael, dass sie nichts dergleichen waren. Loki, die nordische Gottheit des Listenreichtums und der Gerissenheit; Angat, ein Teufel Madagaskars; Arawn, der walisische Fürst der Unterwelt; Czorneboh, der slawische Teufel und Schwarze Gott; Mara, der Dämon, der Buddha in Versuchung geführt hatte; die babylonische Gottheit Nergal, die über die Toten regierte; Ördög, der ungarische Teufel; Pazuzu, der assyrisch-babylonische Dämon, halb Mensch und halb Tier; Vritra, der Gegenspieler in der vedischen Religion; der keltische Dämon Púca; Samnu, der Dämon der Bewohner Zentralasiens; Supay, der Inkagott der Unterwelt; T’An Mo, das chinesische Gegenstück zum Teufel, und schließlich Sedit, ein
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