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Der Dieb der Finsternis

Der Dieb der Finsternis

Titel: Der Dieb der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Doetsch
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setzte sich auf den Stuhl vor dem Schreibpult, lehnte sich zurück und inhalierte den süßen Duft des Kiefernharzes, der Kräuter und der Gewürze, die dem Raum eine beruhigende Atmosphäre verliehen.
    Cindy setzte sich auf eines der großen Kissen, während KC stehen blieb.
    »Was würde eure Mutter sagen, wenn sie uns hier so sehen könnte?«, fragte Venue und ließ den Blick zwischen KC und Cindy hin und her schweifen. »Ich und meine beiden Mädchen sitzen in einem Tempel, der über viertausend Jahre alt ist.« Er lachte. »Sie würde vor Schreck gleich noch einmal sterben.«
    »Wie kannst du es wagen!«, stieß KC hervor. »Wir haben nichts mit dir zu schaffen. Du hast unsere Mutter im Stich gelassen.«
    »Das lässt sich nicht vermeiden, wenn man ins Gefängnis kommt.«
    »Und du hast deinen Tod inszeniert.«
    »Wir alle müssen sterben.« Venue ließ die leise Drohung in der Luft hängen. »Dieser Knabe, dieser Michael … du scheinst ihm wirklich etwas zu bedeuten.«
    »Wage ja nicht, ihn jetzt ins Gespräch zu bringen!«
    »Den meisten Kerlen ist nicht zu trauen. Ich schätze, den meisten Frauen auch nicht. Richtig, KC? Manchmal sind die Dinge nicht, was sie zu sein scheinen. Manchmal glauben wir nur, wir wüssten, was um uns herum passiert.«
    KC reagierte nicht darauf.
    »Die Menschen können schrecklich unberechenbar sein«, fuhr Venue fort und starrte KC dabei an.
    »Worüber redet ihr, und was ist da unten gerade passiert?«, brach es aus Cindy heraus. »Was ist hinter dieser Tür?«
    Venue sah zwischen den beiden hin und her. »Sollte das nicht besser KC beantworten?«
    KC stand schweigend da, starrte Venue an und lieferte sich ein wortloses Gefecht mit ihm. Cindy schien gar nicht anwesend zu sein; die Unterhaltung und das Schachspiel fanden ausschließlich zwischen KC und Venue statt. »Ich habe keine Ahnung«, sagte sie schließlich, denn die Wahrheit wollte sie sich lieber gar nicht erst vorstellen.
    Lächelnd gab Venue nach. »Dieser Tempel hier ist älter als der Islam, älter als das Christentum, das Judentum, älter als Buddha und die Götter des Hinduismus. Da überlegt man sich schon, wer ihn gebaut haben könnte, wen sie hier angebetet haben und wen sie heute hier anbeten. Was sie bewachen und beschützen.«
    »Meinst du nicht, dass diese Mönche Widerstand geleistet hätten, wenn sie hier etwas bewachen oder beschützen würden?«, meldete Cindy sich zu Wort.
    »Vielleicht bewachen sie etwas, was keines Schutzes bedarf«, erwiderte KC, sah dabei aber weiterhin Venue an und ließ ihre Worte ein paar Sekunden einwirken. »Oder sie beschützen nichts vor der Welt, sondern beschützen die Welt vor etwas.«
    Cindy lachte nervös auf. »Du bist immer so dramatisch.«
    Venue starrte KC an, als würde er Cindy gar nicht hören.
    »Sehen sie für deine Augen alt aus?«, wollte Venue von KC wissen und drehte sich dabei leicht auf seinem Stuhl.
    »Wer?«, fragte Cindy, die jetzt verbissen versuchte, sich an der Unterhaltung zu beteiligen.
    KC schwieg weiter. Sie wusste, worauf Venue mit seiner Frage hinauswollte; er hatte eine Beobachtung gemacht, für die er keine Bestätigung brauchte. Sie hatte das Gleiche gesehen. Obwohl keiner der Mönche jung war, humpelte auch keiner von ihnen altersschwach herum oder lief gebeugt oder vom Leben gebeutelt. Die Weisheit in ihren Gesichtern rührte von Erfahrung her, von den vielen Jahren, die sie bereits gelebt hatten, doch sie alle hatten junge Augen, voller Leben und voller Optimismus und von keinerlei Hoffnungslosigkeit getrübt.
    »Es gibt ein paar Dinge an diesem Ort …«
    »Was für Dinge?«, fragte Cindy, die zusehends frustrierter wurde.
    Schnellen Schrittes kam Iblis zu ihnen. »Wir haben die anderen Räume gefunden.«
    »Gut«, erwiderte Venue seelenruhig und blieb sitzen, als hätte es keine Eile.
    Verwirrt blickte Iblis ihn an. »Wollen Sie sich die Räume denn nicht ansehen? Sie sind unglaublich.«
    »Noch nicht.« Venue rührte sich nicht von der Stelle. »Wir müssen hier erst noch auf jemanden warten.«
    »Auf wen?«, fragte Iblis.
    Noch immer blickte Venue KC an, schaute ihr fest in die Augen und lächelte. »Auf Michael St. Pierre.«

48.
    M ichael betrat den Tempel. Er war riesig, und es war stockdunkel im Innern. Hohe Säulen erhoben sich zu beiden Seiten des Mittelganges, der auf einen breiten Altar zuführte. Von der sechs Meter hohen Decke hingen an schweren Ketten große, runde Käfige, in denen Lichter glommen, die den Raum schwach

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