Der Dieb der Finsternis
beleuchteten. An der Wand brannten Hunderte Kerzen; der Schein ihrer kleinen Flammen brach sich im Messing der Halter, in denen sie steckten. Der Duft von Weihrauch lag in der verrauchten Luft, die aufstieg und durch die Decke des Gotteshauses abzog.
Als Michael durch das Mittelschiff schritt, erwartete er, vor dem Hochaltar einen Buddha zu erblicken, aber da war nichts – weder ein Kruzifix noch ein Kreuz, kein Tabernakel und auch keine obskure Gottheit. Da waren lediglich ein paar violette und tiefrote Kissen auf dem Fußboden aufgestapelt.
Der Altarraum war riesengroß, über dreißig Meter tief und ebenso breit. Es gab weder Kirchenbänke noch Stühle, wohl aber einzelne Gebetsteppiche, etwa fünfzig an der Zahl. Sie waren Kunstwerke aus fein gewobener Wolle und lagen zu beiden Seiten des Gangs auf dem Fußboden.
Michael ging bis zum Rand des erhöhten Podiums und schaute auf den Altar. Er betrat ihn aus Respekt nicht: Es stand außer Zweifel, dass dies hier ein Gotteshaus war, eine heilige Stätte für die Gesalbten oder diejenigen, die für würdig gehalten wurden.
Und dann sah Michael das Blut: Es war frisch und klebte an der Rückwand der heiligen Stätte und auf dem dunkelgrauen Boden des Altarraums.
Hier lebten Menschen, Mönche, aber vor denen fürchtete Michael sich nicht; es waren Iblis und seine Männer, die eine Bedrohung darstellten und Michael nervös machten. Michael zog seine Waffe, die im Kreuz an seinem Gürtel hing, und entsicherte sie. Dann zog er seinen Rucksack straffer an den Körper und bewegte sich in Richtung eines Gangs, der sich zu seiner Linken auftat. Bevor er ihn betrat, presste er seinen Körper an die Wand und lauschte, doch war es totenstill im Tempel.
Von dem steinernen Gang gingen zahlreiche weitere Gänge ab; ohne nachzudenken, lief Michael in den Tunnel links hinein.
Er gelangte in ein rundes Vestibül. In Wandhalterungen hingen Fackeln, deren orangefarbener Schein sich auf einem prachtvollen Fußboden spiegelte, auf dem Mandalas – mit goldenen Intarsien verzierte, kreisförmige und quadratische symbolische Gebilde – von den Mysterien der Himmel erzählten. Als Michael den Kopf in den Nacken legte und zur Decke blickte, entdeckte er dort die exakt gleichen Darstellungen. Sie waren sehr komplex und aufwendig und repräsentierten die metaphysische Struktur des gesamten Kosmos. Die Wände waren aus glänzendem Stein. Sieben Gänge zweigten von dem runden Raum ab, wie die Speichen eines Rades. Michael lauschte, hielt den Atem an und rührte sich nicht, hörte aber nichts.
Zögernd betrat er den ersten Gang, der gänzlich im Dunkeln lag, zog seine Taschenlampe heraus und knipste sie ein. Der Lichtschein geisterte durch einen langen Korridor, der sich mal nach links, mal nach rechts wand. Michael ging mindestens hundert Meter weit, bis er eine massive Holztür erreichte. Er umfasste den Eisengriff, zog die Tür auf und fand sich in einem großen runden Raum wieder, über dem sich in viereinhalb Metern Höhe eine Decke wölbte und an dessen Wänden zahlreiche Regale standen.
Als Michael mit der Taschenlampe in den Raum hineinleuchtete, erstrahlte er, als würde die Sonne darin aufgehen. Überall blitzte und schimmerte es; das gelbe Licht spiegelte sich und schien ganz von allein immer mehr und heller zu werden. Strahlendes Gold in seiner reinsten Form häufte sich auf den Regalen an den Wänden. Da waren Kelche und Teller, Schilde und Dolche, Juwelen und religiöser Zierrat, Barren und Platten. Es war ein unverschlossener Lagerraum, der Werte enthielt, die Michael gar nicht ermessen konnte. Wenn es dieses Gold war, hinter dem Venue so verbissen her gewesen war, würde es ihn reicher machen, als selbst er sich hätte erträumen können. Nur fürchtete Michael, dass Venues eigentliches Ziel ein anderes war. Er war hinter etwas her, was einen noch viel größeren Wert hatte.
Michael schloss die Tür wieder und eilte zurück in den Mandala-Raum, nahm den nächsten Gang und lief wieder an die hundert Meter, bevor sich ihm dort ein gänzlich anderer Anblick bot.
Diese Tür war breit und dick. Massive Eisenscharniere hielten ihr Gewicht, und zu Michaels großem Erstaunen verfügte sie über ein gewaltiges Fallriegelschloss. Es bestand aus vier Stiften, die auf der Außenseite der Tür ruhten und in den steinernen Türrahmen reichten; die Verkreuzung der Stifte wurde in der Türmitte von einem komplexen Zahnrad zusammengehalten, in dem sich ein großes Schlüsselloch
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