Der Dieb der Finsternis
Teufel der amerikanischen Indianerstämme. Hier fand sich alles über ihre Geschichte, und hier lagen ihre Biografien in unvorstellbarer Ausführlichkeit.
Endlich gelangte Michael an das Ende der Bibliothek, wo leere Regale auf neue Bücher und Schriften warteten, die von den Mysterien der Welten über und unter der Erde erzählten. Michael drehte sich um und wandte sich zum Gehen, als er noch einmal stehen blieb und sich zurückdrehte, denn plötzlich wusste er, warum man die Tür zu diesem Aufbewahrungsort himmlischen Wissens aus den Angeln gerissen hatte.
Michael wurde bang ums Herz, als er auf die leeren Regale zuschritt. Die so unübersehbar leeren Fächer warteten nicht auf neue Schriften; die Regale waren bereits gekennzeichnet. Es gab Hunderte von Etiketten, doch die Werke, auf die sie sich bezogen, waren nicht mehr da. Der leere Bereich war gewaltig, mindestens drei Meter breit und zwei Meter hoch. Es war eine Sammlung kostbarer Schriften, die man über Jahrtausende zusammengetragen hatte, seit Anbeginn der Menschheit. Und es war ausgerechnet jener Themenbereich, der sich unter dem Begriff »das Böse in jeder nur denkbaren Form« zusammenfassen ließ. »Dämonen« und »Finsternis« stand auf den Etiketten, »Hexerei« und »Heimtücke«, »Gefallene Engel« und »Wiederauferstandene Teufel«. Da waren Gebete und Zauberformeln, mit denen der Teufel und die unheiligen Kreaturen der Hölle beschworen werden konnten. Etiketten, auf denen zu lesen war: »Die Worte Luzifers«, »Das Evangelium Satans«, »Der Weg in die Hölle«, »Wie man Pazuzu beschwört«, »Besessenheit« und »Die Vergewaltigung der Seele«.
Als Simon erzählt hatte, was sich angeblich in den Mauern dieses Tempels befand, hatte Michael seine Zweifel gehabt. Doch als er jetzt auf die leeren Regale blickte, die vor ihm standen, und las, welche Bücher, Schriftrollen und Pergamente fehlten, war er vor Furcht wie gelähmt. Venue war nicht nur wegen des Goldes hier; er war hier wegen der Macht und der Geheimnisse. Er war hier, um die Pforten zur Hölle zu öffnen.
Michael wich zurück und drehte sich hastig um, von Nervosität erfüllt. Er wusste nicht, warum, aber ihn befiel plötzlich eine Angst, wie er sie seit seiner Kindheit nicht mehr empfunden hatte und die sich nicht erklären ließ, weil sie völlig irrational war. Er packte seine Pistole so fest, dass seine Fingerknöchel weiß hervortraten, und sah sich suchend um. Er musste KC finden und sie hier herausschaffen. Er musste sie in Sicherheit bringen und dann zurückkommen, um Venue und Iblis von der Verwirklichung ihrer Pläne abzuhalten, wie immer diese Pläne aussehen.
***
Michael eilte durch den steinernen Gang zurück in den Mandala-Raum und ging nacheinander durch jeden der Korridore, die wie Speichen von dem runden Vestibül abzweigten, um nach KC zu suchen. Er fand einen Raum voller Silber; einen Raum, der mit Juwelen, Edelsteinen und Halbedelsteinen gefüllt war, sowie einen Raum, in dem Getreide und Lebensmittel gelagert wurden, wodurch ihm klar wurde, dass die Bezeichnung »Berg der fünf Schätze« wörtlich zu nehmen war.
Als er wieder in den kreisrunden Raum kam, verharrte er einen Moment; es blieben jetzt nur noch zwei weitere Gänge. Michael fühlte sich wie der Minotaurus, auf ewig gefangen in einem sich windenden Labyrinth. Eine Tür führte zu einer Treppe, die nach unten ging; die andere führte nach oben.
Michael legte den Kopf zur Seite und horchte auf Geräusche, auf irgendeinen Hinweis darauf, wo KC sein könnte. Da er nichts hörte, eilte er nach oben und schaute dabei nach rechts, links und hinter sich. Seine Nerven waren zum Zerreißen gespannt, und er umklammerte seine Pistole noch fester. Er erreichte einen Treppenabsatz, der in einen leicht abschüssigen Gang führte, von dem zu beiden Seiten zahllose Türen abgingen, aber die Treppe führte noch weiter nach oben. Also stieg Michael höher, gelangte in die dritte und oberste Etage und fand sich in einem Raum wieder, der von Kerzen erleuchtet wurde und im gesamten Rund über Fenster verfügte, die Ausblicke in sämtliche Himmelsrichtungen boten. Für den Moment hatte der Sturm nachgelassen; das Licht des Sonnenuntergangs tauchte das Tal in einen grandiosen goldenen Glanz, flutete durch die gewölbten Glasscheiben in den Raum und ließ ihn in sämtlichen Farben des Regenbogens schillern.
Zwischen den einzelnen Fenstern waren die Wände mit Kunstwerken geschmückt, die sämtlichen Religionen
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