Der Dieb der Finsternis
Waffe neu. Inzwischen war sein Körper wieder aufgewärmt, was ihm erlaubte, sich voll zu konzentrieren.
Er hoffte, dass Michaels Plan keine gefährlichen Lücken aufwies. Sie hatten ihn in aller Eile ausgeheckt, und sein Gelingen hing von vielen Faktoren ab, die außerhalb ihres Einflusses lagen. Doch war dieser Plan alles, was sie hatten. Und KC war das Einzige, woran Michael zurzeit denken konnte.
Wenn Liebe im Spiel war, fehlte es immer an Vernunft. Liebe verleitete Männer, die dümmsten und gefährlichsten Dinge zu tun und beinahe dem Wahnsinn zu verfallen zum Wohle derer, nach denen sie sich verzehrten. Liebe hatte König Edward VIII. von England dazu gebracht, für seine Geliebte auf den Thron zu verzichten, und Liebe hatte dafür gesorgt, dass Menelaos die Spartaner aussandte, Troja in Schutt und Asche zu legen, weil Paris ihm seine Frau Helena gestohlen hatte. Und jetzt hatte die Liebe Michael dazu verleitet, in einen historischen Palast einzubrechen, um eine Karte zu stehlen, die es eigentlich gar nicht hätte geben dürfen.
Doch Michael Handlungsweise war vernünftig, obwohl er es aus Liebe tat. Er rettete KC aus den Klauen eines Vaters, der es nicht verdiente, ein Mensch genannt zu werden; eines Vaters, der als Kläger und Richter fungiert hatte und seine eigene Tochter ins Gefängnis werfen ließ, damit man sie dort hinrichtete; eines Vater, der seine Tochter auf einen Berg schleppte, um sich persönlich zu bereichern, und der seine Tochter dabei als lebenden Schutzschild benutzte. Er war der Gegenpol zur Liebe, der Gegenpol all dessen, was Eltern ausmachte, und das genaue Gegenstück von allem, was ein Vater eigentlich sein sollte.
Busch wäre für seine beiden Kinder gestorben und hätte für ihr Wohlergehen alles geopfert. Er konnte nicht begreifen, was in einem seelenlosen Menschen wie Venue vor sich ging.
Er wusste nicht, wer von beiden der Schlimmere war: Iblis oder Venue. Aber als er in dem Höhleneingang lag, den Griff des Gewehres fest gegen die Wange gepresst, hoffte er, einer von den beiden möge aus der Tür kommen, damit er die Welt ein bisschen sicherer machen konnte.
50.
W as tust du denn hier?«, fragte KC Michael noch einmal, und in ihrer Stimme schwangen Verzweiflung und Schmerz mit.
Sie stand immer noch im Gang. Michael schaute sie an, erleichtert, dass sie am Leben war.
»Hallo, Michael.« Venue trat einen Schritt vor und machte ihrer trauten Zweisamkeit ein Ende. »Wie ich sehe, bist du ein gewiefter Dieb und Betrüger.«
KCs Gesicht nahm immer gequältere Züge an.
»Lassen Sie sie gehen«, befahl Michael.
»Wieso glaubst du denn, dass sie von hier weg will? Dass sie nicht aus eigenem Antrieb mitgekommen ist?«
»Nun machen Sie aber halblang.« Michael drehte sich zu KC um. »Er hat mich angerufen und gesagt, du würdest sterben, wenn ich mich einmische und ihm in die Quere komme.«
»Schlecht hören kannst du also auch recht gut«, höhnte Venue.
Michael öffnete seinen Rucksack und zog die Lederrolle heraus. »KC, es ist nicht so, dass ich dir nicht vertraut habe. Ich vertraue nie einem anderen Menschen.«
»Ist es nicht erstaunlich, was man alles aus Liebe tut, Michael? Ich brauchte dich nicht einmal zu bitten, das mitzubringen.« Venues Blick fiel auf die Lederrolle und blieb darauf haften. »Woher soll ich denn wissen, dass das hier jetzt wirklich das echte Stück ist?«
»Ich spiele nicht mit dem Leben von Menschen, wie Sie es tun.«
»Oh, ein wahrer Held«, spottete Venue. »Lass mich das Ding mal sehen.«
»Das dürfen Sie erst, wenn Sie KC und ihre Schwester gehen lassen. Sobald ich weiß, dass die beiden in Sicherheit sind.«
»Was?« Cindy drehte sich verwirrt um die eigene Achse. »Ich bin aber …«
»Was für ein Dreck«, erklärte Iblis ungerührt. Im nächsten Moment packte er KC mit aller Gewalt im Nacken und riss sie so schnell nach hinten, dass sie nicht mehr reagieren konnte. Er bog ihren Körper zurück, dass ihr blondes Haar auf seiner Brust lag und sie sich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Dann presste er die Klinge seines Messers gegen ihre Halsschlagader.
Michael sah KC fest in die Augen, während sie versuchte, sich gegen Iblis zur Wehr zu setzen. Sie zeigte keine Furcht, nur Wut. Aber Michael erkannte in Iblis’ Augen, in diesen kalten, toten Augen, dass er nicht zögern würde, KC die Kehle durchzuschneiden, um zu bekommen, was er wollte. Was er für sie empfand, spielte dabei keine Rolle.
Michael öffnete die lederne
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