Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Dieb der Finsternis

Der Dieb der Finsternis

Titel: Der Dieb der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Doetsch
Vom Netzwerk:
entfernt, und von Michael fehlte noch immer jede Spur, als Gianni plötzlich im Augenwinkel etwas bemerkte. Er erstarrte. Ungefähr zehn Meter links von ihm bewegte sich etwas, halb verdeckt hinter Felsen und Kalkablagerungen.
    Im nächsten Moment vernahm er ein seltsames Geräusch, wie das Stimmengewirr einer Menschenmenge in der Ferne. Es war ein Brausen in seinen Ohren, das ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ. Etwas Vergleichbares hatte er nie zuvor gehört. Er fragte sich, wo das Geräusch herkam. Schemenhaft sah Gianni einen Mann, der sich nicht weit von ihm aus den Schatten schälte. Doch er wusste, dass die Stimmen unmöglich von diesem einen Mann herrühren konnten.
    Der Mann blieb stehen. Gianni hob sein Gewehr. Die Stimmen wurden lauter. Er spürte die Furcht, die sich seiner bemächtigte, spürte eine grauenvolle Angst vor der Dunkelheit, wie er sie seit seiner Kindheit nicht mehr empfunden hatte. Damals hatte diese Angst ihn der Fähigkeit beraubt, nüchtern zu denken, sodass er in seiner Panik irgendwelche Dinge gesehen hatte.
    Er erinnerte sich, im Alter von zehn Jahren wunderschöne Tiere in den bauschigen Wolken gesehen zu haben, die über den blauen Himmel zogen, doch wenn er abends im Bett lag, kehrte seine Fantasie das Oberste zuunterst. Aus den Tieren wurden im Dunkel der Nacht düstere Kreaturen, vor denen er sich fürchtete: Monster und Hyänen, Dämonen und Teufel. Alle schienen sie in den Schatten zu lauern und nur darauf zu warten, ihn zu packen und aus seinem Bett zu reißen. Seine Nächte waren von Albträumen erfüllt gewesen, die erst die Logik besiegt hatte, die mit dem Erwachsenwerden einherging.
    Aber jetzt, als er plötzlich diese Stimmen hörte, fühlte er sich wieder wie ein Junge, und seine Ängste wurden neu entfacht – mit dem Unterschied, dass das, was jetzt in der Dunkelheit lauerte, nicht seiner Fantasie entsprang.
    Den Mann gab es wirklich. Es war Michael St. Pierre.
    Gianni legte das Gewehr an. Er würde den Amerikaner mit einem einzigen Schuss töten und dann zur Treppe rennen, zurück in die Sicherheit.
    Trotz der Dunkelheit um ihn her konnte er sehen, wie Michael um einen großen Felsblock schlich und dann stehen blieb, weil er nicht wusste, dass Giannis Waffe auf ihn gerichtet war.
    Gianni hielt das Gewehr mit beiden Händen fest. Er zielte und feuerte einen einzigen Schuss ab. Das Krachen zerriss die Stille und dröhnte ihm so laut in den Ohren, dass es schmerzte. Er traf Michael genau in den Hinterkopf. Er brach an der Stelle zusammen, an der er gerade noch gestanden hatte.
    Gianni rannte zu Michaels Leiche und war froh und dankbar, auf Silviu anstoßen zu können, bevor dieser Tag sich zu Ende neigte. Gianni zog seine Taschenlampe aus der Tasche und stellte sich vor den Toten. Michael lag mit dem Gesicht nach unten. Was von seinem Schädel übrig war, lag in einer Blutlache, die aussah wie ein Heiligenschein. Gianni grub die Spitze seines Stiefels unter Michaels Brust, rollte den Körper auf den Rücken … und die Stimmen wurden lauter. Seine Furcht vermischte sich mit Zorn, als er auf die Überreste von Karls Kopf starrte.
    Gianni drehte sich um die eigene Achse, außer sich vor Wut über seine Dummheit und seine Paranoia. Er hatte Karl getötet! Sie waren zwar nicht befreundet gewesen, hatten aber auf der gleichen Seite gekämpft.
    Gianni schaute sich um. Er stand jetzt unter einer der beiden Fackeln, und die Stimmen schienen plötzlich zu verstummen. Vielleicht spielte sein Verstand ihm aber auch nur einen weiteren Streich, weil er so unter Druck stand und nur von Blut und Tod umgeben war. Und die Stimmen waren vermutlich auf die Höhe zurückzuführen, in der sie sich befanden; wahrscheinlich vernebelte der geringere Sauerstoffgehalt der Luft ihm den Verstand.
    Gianni konzentrierte sich wieder. Er würde Michael finden, und er würde ihn töten.
    Und dieses Mal sah er ihn wirklich, keine Frage. Gianni erkannte sein Gesicht. Es gab nicht den geringsten Zweifel. Michael kletterte gerade zwischen die Felsen neben einer Gruppe von Stalagmiten, die sich gleich hinter der zweiten Fackel befanden.
    Gianni schlich an der Wand entlang. Die Hitze in der Höhle nahm immer mehr zu, je tiefer er vordrang, und machte ihm zu schaffen. Inzwischen waren es bestimmt schon über fünfzig Grad.
    Wieder sah er ihn. Michael bewegte sich von ihm weg, huschte zwischen den Felsen und den Stalagmiten hin und her. Gianni schlug sämtliche Bedenken in den Wind, hielt sein Gewehr wie

Weitere Kostenlose Bücher