Der Dieb der Finsternis
Sarkasmus.
Zwei Wachhunde traten auf sie zu, die Maschinenpistolen im Anschlag.
»Wie konntest du glauben, du würdest an uns vorbeikommen?«, fragte Iblis. »Wolltest du einfach rein-und wieder rausspazieren?«
KC stellte sich ganz nah vor ihn und wisperte: »Lass ihn gehen, Chris.«
Schockiert schaute Iblis sie an, als er erkennen musste, dass sie seinen wahren Namen kannte.
»Er ist das Einzige, was ich will«, sagte KC und hoffte, damit an den Rest von Gewissen zu appellieren, das er vielleicht noch besaß. »Er ist das Einzige, was ich je für mich selbst gewollt habe. Bitte …«
Iblis starrte KC an. Sein Gesicht sah plötzlich wie eine Maske aus.
KC hielt seinem Blick stand. Die Sekunden dehnten sich endlos.
Dann warf Iblis seinen beiden Männern einen kurzen Blick zu. Sie näherten sich KC und nahmen ihr die Waffe ab.
62.
V enue betrat die Kammer, die von einer Fackel erleuchtet wurde. Der Schatz funkelte und gleißte im Schein der Flamme. Breiter hätte Venue gar nicht grinsen können. Er ging zu einem der Schatzhaufen und vergrub beide Hände darin: Juwelen, Münzen, heilige Kreuze, Utensilien jeder Art. Er nahm einen mit Edelsteinen besetzten Kelch aus Gold heraus, betrachtete ihn ganz genau und bewunderte seine kunstvolle Verarbeitung und seine Schönheit. Dann blickte er auf die anderen Berge aus Kleinodien, die sich in meterhohen Stapeln überall auf dem Fußboden türmten. Es war eine ganze Schiffsladung. Er lief um die Kostbarkeiten herum wie ein Mann, der flüchtig durchrechnet, welchen Wert die Beute besitzt, die er gerade gemacht hat. Als er die Drei-Milliarden-Euro-Marke erreichte, hörte er auf.
Dann fiel sein Blick auf die Leichen. Venue hockte sich vor die sterblichen Überreste eines Korsaren, dessen langes Haar wie ein Spinnennetz aussah, das über einem vergilbten, wächsernen Schädel lag. Die Hände des Skeletts umklammerten einen langen Säbel, dessen scharfe Klinge von schwarzem Blut verkrustet war. Ein Dolch steckte in der knöchernen Brust des Toten. Der Griff war mit Leder umwickelt, der Knauf mit Smaragden besetzt. Venue griff danach und riss ihn heraus, worauf der Brustkasten des Mannes zu einem Häufchen morscher Knochensplitter zerbröselte. Venue untersuchte die Klinge ganz genau, bewunderte ihre Symmetrie und staunte, dass sie nach so langer Zeit immer noch scharf war. Er fragte sich, wer der Mann war, der vor ihm lag. War es vielleicht Kemal Reis? Oder war es bloß einer seiner vielen Untergebenen, die ihn auf eine endlose Reise über Flüsse und durch unbekannte Gefilde begleitet hatten, um schließlich einen Berg zu erklimmen und den Ort zu finden, an dem sie sterben würden?
Als Venue auf die Unmengen kostbarer Schätze blickte, staunte er, dass Kemal und seine Männer dies alles durch die enge Höhle auf den Berg geschleppt hatten – ein Unternehmen, das mindestens neun Monate gedauert und aus Segeln, Klettern, dem Schleppen schwerer Lasten und nichts als Erschöpfung bestanden hatte.
Endlich wandte Venue sich den vielen Büchern und Schriftrollen zu, den wahren Objekten seiner Begierde. Er ging so andächtig auf sie zu, als würde er den Himmel betreten. Sie waren auf dem Boden aufgestapelt. Da waren Steintafeln, in die eine Sprache gemeißelt war, die Venue nicht erkennen konnte; da waren Schriftrollen und Pergamente in Chinesisch und Tierhäute in Aramäisch. Es war eine Sammlung aus Schriften und Gebeten, aus Einblicken in und Berichten über die Urgestalten der Finsternis, das Böse, das bereits vor Anbeginn der Welt Bestandteil des Lebens gewesen war. Da waren Landkarten, die zu verschollenen Rissen in der Erde führten und zu jenem Ort, an dem sich wirklich und wahrhaftig der Garten Eden befand, und zur Axis Mundi, die nicht nur in den Himmel, sondern auch in die Hölle führte.
In seiner Zeit im Priesterseminar hatte er über diesen Literaturschatz gelesen. Aleister Crowley, Heinrich Himmler und Rudolph Hess hatten danach gesucht, obwohl man stets behauptet hatte, die Existenz dieser Schriften sei bloß ein Gerücht, das dem verwirrten Geist eines Irrsinnigen entsprungen sei. Als Venue jetzt daraufblickte und mit eigenen Augen sah, dass sie vor ihm lagen, lächelte er. Er hatte den Funken Wahrheit gefunden, der jedem Gerücht und jedem Mythos innewohnte, mochte dieser Funke noch so winzig sein.
Venue nahm eines der Bücher in die Hand. Es war in Latein geschrieben, einer Sprache, mit der er dank seiner Zeit als Priester bestens vertraut war. Der
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