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Der Dieb der Finsternis

Der Dieb der Finsternis

Titel: Der Dieb der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Doetsch
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KCs Mutter, sie habe mit eigenen Augen sehen wollen, dass der Mann beerdigt wurde. Sie habe sich davon überzeugen wollen, dass er wirklich tot und unter zwei Metern Erde begraben war. KC sah in den Augen ihrer Mutter erbitterten Hass und unbändige Wut auf den Mann, der ihr Vater gewesen war, der aber nichts getaugt hatte.
***
    Um zwanzig Uhr an jenem Abend stand KCs Freundin Bonnie plötzlich vor ihrer Wohnungstür. Sie schluchzte, ihre Bluse war zerrissen, und ihr Rock hing in Fetzen. KC nahm sie in die Arme und hielt sie fest, während Bonnie ihr erzählte, was der Mann ihr angetan hatte. Sie hatte Angst, es ihrer Mutter zu erzählen oder zur Polizei zu gehen. Keiner würde einem armen jungen Mädchen glauben; mit seinem Geld würde der Mann sich die Möglichkeit erkaufen, zu lügen, und sie damit zu dem Ruf verurteilen, eine geldgierige Schlampe zu sein, die darauf aus war, die Reichen auszubeuten. Sie hatten es beide schon zu häufig erlebt – die Kids, die »hatten«, schienen immer aus jenen misslichen Situationen herauszukommen, für die man Kids, die »nicht hatten«, bestrafte. KC war überzeugt, dass Bonnie nicht das erste Opfer dieses wohlhabenden Mannes war, nur konnten sie es nicht beweisen.
    KC trocknete Bonnies Tränen und brachte sie nach Hause. Sie bat um die Adresse des Mannes, aber Bonnie zögerte zunächst; sie kannte ihre Freundin und wollte nicht, dass KC irgendeine Dummheit beging. Doch besaß KC die Fähigkeit, Menschen von ihrem Standpunkt zu überzeugen und gefügig zu machen, gleichgültig, ob sie im Recht oder im Unrecht war und ob sie sich gefügig machen lassen wollten oder nicht.
    Das Stadthaus war aus Granit und so breit wie zwei normale Wohnhäuser. Efeu hing von der Balustrade der Dachterrasse im fünften Stock und umrankte die gesamte Fassade. Die Haustür schmückten Geländer aus poliertem Messing und ein Türklopfer, der die Form eines Löwen besaß.
    KC drang durch die nicht verschlossene Hintertür ein und schlich durch die Küche. Dabei schlug ihr Herz so wild, als wollte es jeden Moment zerspringen. Es war das erste Mal, dass sie die Luft schmecken konnte, die Farben intensiver wurden, die Furcht und das Adrenalin ihre Wahrnehmungsfähigkeit verstärkten … und es gefiel ihr.
    Doch als sie erst einmal im Haus war, wusste sie nicht, was sie tun sollte. Sie hatte keinen Plan, kein Ziel vor Augen. Sie war gerade erst fünfzehn und voller Zorn. Sie ließ ihre Blicke über diese Zurschaustellung von Wohlstand schweifen, über die Gemälde und Skulpturen, das Silber und das Kristall. Nie hätte sie gedacht, dass Menschen in solchem Luxus schwelgten, und die Tatsache, dass ausgerechnet der Perverse, der Bonnie vergewaltigt hatte, so lebte, machte sie regelrecht krank.
    Sie wollte ihm ebenso wehtun, wie er ihrer Freundin wehgetan hatte, aber sie wusste nicht, wie. Sie dachte daran, das Haus zu verwüsten, brachte es aber nicht fertig, sich der Zerstörungswut zu überlassen. Brandstiftung kam auch nicht infrage. Und darüber, dem Mann körperliches Leid zuzufügen, konnte sie nicht einmal nachdenken. Trotzdem wollte sie ihm wehtun.
    Als sie durch das verlassene Haus schlich und sich anschaute, wie die Leute lebten, die Geld hatten, kam ihr plötzlich eine Idee. Dieser Mann hier liebte seine Reichtümer, seine Kunstgegenstände, seine Juwelen … und junge Mädchen. Er liebte es, Dinge zu besitzen, sogar Menschen, und Bonnie war nur ein weiteres »Stück« gewesen, mit dem er seine Lust befriedigt und seinen Machtrausch ausgelebt hatte.
    KC wusste auf einmal, wie sie den Mann verletzen konnte.
    Sie schnappte sich einen Kissenbezug und stopfte ihn voll mit Armbanduhren und Silber, mit goldenen Armbändern und Manschettenknöpfen. Sie konzentrierte sich auf kleine, sichtbar wertvolle Stücke.
    KC war schon wieder auf dem Weg zur Hintertür, als ihr das Gemälde ins Auge stach, das an der Wand hing. Es zeigte zwei Schwestern, die an einem Teich saßen. Sie wusste nicht, um welche Art von Gemälde es sich handelte, und hatte noch nie von Monet gehört, aber aus irgendeinem Grund berührte es ihre Seele. Es war nicht groß, höchstens sechzig mal sechzig Zentimeter. Sie schaute auf ihre Tasche und dann wieder auf das Bild. Und ohne nur eine Sekunde nachzudenken, nahm sie es von der Wand.
    Und die Hölle brach los. Der Alarm schrillte, und die Bolzenschlösser verriegelten sämtliche Türen im Haus. KC rannte zu den Fenstern, musste allerdings feststellen, dass auch sie verriegelt

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