Der Dieb der Finsternis
Speisen und Bier standen, und stellte es auf den Konferenztisch.
»Es gab da ein paar Komplikationen«, erwiderte Simon.
Kopfschüttelnd biss Busch in eines der Sandwiches. »Gibt es die nicht immer?«
»Es war fast so, als hätten sie uns beobachtet. Als hätten sie gewollt, dass wir den Brief stehlen.«
»Klar doch, um euch dann dafür zum Tode zu verurteilen.« Busch lachte.
»Welcher Pechvogel war euer Opfer?«, fragte Michael.
»Philippe Venue, ein reicher Geschäftsmann, der über die Mittel verfügt, Menschen mit einem einzigen Telefonanruf verschwinden zu lassen.«
Michael lächelte. »Nur hatte er keine Ahnung, dass du Freunde hast, die dich aufgrund eines einzigen Telefonanrufs suchen und finden.«
»Was ist denn genau passiert?«, fragte Busch, schnappte sich den Flaschenöffner und öffnete drei Flaschen Bier.
»Im Prinzip war es so, dass KC und ich eingebrochen sind und den Brief aus dem Safe genommen haben, aber bevor wir wieder nach unten ins Erdgeschoss konnten …« Simon stockte. »Gott sei gepriesen, dass Bürogebäude Briefkästen haben«, fuhr er dann fort. »Ich habe den Brief in einen Umschlag gesteckt und ihn nach Rom geschickt, bevor sie uns geschnappt haben.«
»Nimm es mir nicht übel, Simon, aber ihr habt euch schnappen lassen«, erinnerte Michael ihn.
»Das ist es ja. KC ist noch nie geschnappt worden. Deshalb regt sie sich ja so auf. Sie glaubt, dass man uns in eine Falle gelockt hat.«
»Und stimmt das?«
»Ich weiß es nicht.«
»Aber du hast den Brief«, sagte Michael.
»Ja, und ich habe ihn durch einen Scanner laufen lassen. Im Moment ist jemand dabei, ihn zu übersetzen. Allerdings war er in Venues Besitz, also hat er zweifellos Kopien anfertigen lassen. Er weiß, wo die Karte ist, und ich garantiere dir, dass er jemanden losschickt, sie ihm zu beschaffen.«
»Sie zu stehlen?«, fragte Michael.
Simon nickte.
»Deshalb hat er uns nach Chiron schaffen lassen. Damit er als Erster an die Karte herankam.« Simon nippte an seinem Bier, lehnte sich zurück und überlegte eine Weile. »Ich werde die Karte stehlen und vernichten«, sagte er dann.
»Du weißt, dass ich dir nicht helfen kann, nicht wahr?«, sagte Michael.
»Ich erwarte auch gar nicht von dir, dass du mir hilfst.« Simon lächelte und hob dabei seine Bierflasche, um Michael zuzuprosten. »Du hast mir das Leben gerettet. Wieder einmal. Ich würde dich weder bitten, dich in diese Sache hineinziehen zu lassen, noch würde ich dir Schuldgefühle einflößen, damit du es tust.«
Michael spürte Simons Entschlossenheit: Er war durch nichts aufzuhalten, und weder Widrigkeiten noch Polizei oder Gefängnisse vermochten ihn aufzuhalten. »Wohin führt diese Karte?«, fragte er.
Ganz leise erwiderte Simon: »Wie ich bereits sagte, das möchtest du gar nicht wissen.«
»Okay, dann sag mir, wo diese Karte ist.«
»In Istanbul.« Simon lächelte. »Eine wunderschöne Stadt.«
Busch blitzte ihn zornig an. »Das gefällt mir überhaupt nicht.«
Michael wandte sich Busch zu. »Wir setzen ihn da nur ab.«
»Ihr müsst uns beide absetzen«, sagte eine Frauenstimme.
Michael drehte sich um und sah, dass KC hinter ihnen stand. Sie war sauber gewaschen, ihr Haar glänzte, und ihre Gesichtszüge waren so weich, wie er sie in Erinnerung gehabt hatte. Sie trug eine dunkelblaue Jogginghose und eines von Michaels weißen Baumwollhemden. Michaels Wut verrauchte, und alle Gedanken an ihre Lügen und daran, dass sie sich in so große Gefahr gebracht hatte, verflüchtigten sich. Auf einmal war sie wieder die Frau, die sie gewesen war, als sie einander zum ersten Mal begegnet waren, unschuldig und atemberaubend.
»Was willst du damit sagen – ›uns‹?«, fragte er.
»Du hast doch sicher nicht angenommen, dass Simon das allein tut, oder?«
Michael schüttelte den Kopf. »Auf gar keinen Fall. Das kannst du nicht tun.«
»Du brauchst dich nicht bedroht zu fühlen«, meinte KC nüchtern.
»Bedroht?«
»Du fühlst dich bedroht, weil ich besser bin als du.«
»Was?« Michael lachte auf. »Mich hat man nicht gerade erst dabei erwischt, wie ich mit der Hand in die Keksdose gegriffen habe, und mich musste man nicht davor bewahren, im Morgengrauen hingerichtet zu werden. Es tut mir leid, aber ich kann nicht zulassen, dass du …«
»Du hast nicht das Recht, mir vorzuschreiben, was ich zu tun oder zu lassen habe«, schimpfte KC. »Ich werde diese Karte stehlen, Michael. Ob es dir gefällt oder nicht.«
5.
K atherine Colleen Ryan
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