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Der Dieb der Finsternis

Der Dieb der Finsternis

Titel: Der Dieb der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Doetsch
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benutzte, ohne Verdacht zu erregen.
    Der Einbruch war wie ihre Doktorarbeit, der krönende Abschluss und die Demonstration all dessen, was sie von Iblis gelernt hatte. Er hatte sie nie um irgendeine Gegenleistung gebeten, was sie von jeher mit Skepsis erfüllt hatte, doch war es ihm mit seiner Offenheit stets gelungen, ihre Nerven zu beruhigen. Und so geschah es: Die Sache war erledigt, das Geld war auf der Bank, und er verabschiedete sich von ihr.
    KC sorgte dafür, dass Iblis das ganze Geld zurückbekam, das er ihr gegeben hatte; sie wollte niemals irgendeinem Menschen etwas schulden. Obwohl er sich zuerst entschieden dagegen wehrte, nahm er das Geld schließlich widerwillig an, da er den Stolz und die Entschlossenheit in ihren Augen sah.
    Sie war seine beste und einzige Schülerin.
***
    Mit achtzehn war KC ein Vollprofi. Sie stahl lieber Kunstgegenstände als Juwelen. Sie bestahl nur Menschen, die gut versichert waren. Sie stellte sorgfältige Recherchen über ihre Opfer an und wusste immer, dass sie eine Strafe verdient hatten: der gierige Geschäftsmann, der seine Angestellten übers Ohr haute; der Rock-Star, der sich sexuell an jungen Mädchen und Knaben verging und den Eltern Schweigegeld zahlte, damit sie ihn nicht anzeigten: Menschen, die so viel Macht besaßen, dass ihre Missetaten niemals vor Gericht kamen und die gar nicht wussten, was Worte wie Schuld, Reue oder Mitgefühl bedeuteten. KC verübte selten mehr als zwei Diebstähle im Jahr, doch diese waren stets minutiös geplant und gut ausgeführt, und niemals hinterließ sie eine Spur.
***
    KC machte nie ihren Schulabschluss und opferte ihr eigenes Leben ihrer Schwester. Nur so konnten sie beide zusammenbleiben; nur so konnte sie das Geld verdienen, das sie beide zum Überleben brauchten. Während der ganzen Zeit empfand sie riesige Schuldgefühle im Hinblick auf das, was sie tat. Sie hatte nie die Absicht gehabt, eine Kriminelle zu werden. Es zerriss sie innerlich, dass sie wie der Vater war, den sie niemals gekannt hatte und der als Verbrecher gestorben war. Hatte er auch so angefangen wie sie und war am Ende zu diesem Ungeheuer geworden, das seine Frau und seine beiden Töchter den Launen des Lebens überlassen hatte? Hatte es bei ihm ebenso unschuldig begonnen wie bei ihr? War er von Gier getrieben gewesen, oder hatte er lediglich falsche Entscheidungen getroffen?
    Und was würde mit der Zeit aus ihr werden? Würde sie enden wie er? Würde sie in einem gottverlassenen Gefängnis sterben oder in einer finsteren Seitengasse mit einem Messer im Bauch?
    Jede Nacht betete sie um Vergebung und dass Gott verstehen möge, warum sie ihre Verbrechen beging.
    Cindy hatte nicht die geringste Ahnung, was ihre Schwester tat. Sie war zu jung gewesen, als alles seinen Anfang nahm. Damals dachte sie, dass Geld etwas sei, was einfach da war. Als Cindy älter wurde, erfand KC ein anderes Leben für sich; angeblich arbeitete sie als Beraterin für die EU und begleitete Reisegruppen.
    KCs Bemühungen zahlten sich aus. Cindy blühte und gedieh. Sie wuchs in einem liebenden Zuhause auf und war ein hervorragende Schülerin. Als sie in ein hübsches kleines Haus außerhalb von London zogen, war ihr Glück perfekt. Nach dem Schulabschluss ging Cindy nach Oxford, und KC finanzierte ihr das Studium. Sie war mächtig stolz auf ihre kleine Schwester.
    So vergingen die Jahre. Als Cindy dreiundzwanzig war, zog sie aus, um auf eigenen Beinen zu stehen und sich eine Karriere in der Finanzwelt aufzubauen, und plötzlich war KC allein. Das Haus war leer, sie selbst hatte keine Ausbildung, hatte keinen Mann in ihrem Leben – sie hatte alles für ihre Schwester geopfert und keine Möglichkeit, irgendwo Karriere zu machen.
    Aber sie bereute nichts. Sie hatte es seinerzeit übernommen, ihre Schwester großzuziehen und sie beide zusammenzuhalten – ein Meisterstück, das damals unmöglich erschien, doch die Liebe konnte einen Menschen motivieren und ihm den notwendigen Elan geben, um am Ende den Sieg davonzutragen. KC war eine Diebin geworden, eine Meisterdiebin, leise wie das Flüstern des Windes, ein Geistwesen, von dem Scotland Yard und Interpol nicht die geringste Vorstellung hatten.
    KC war dankbar für Cindys Erfolg, für das Leben, das sie ihnen beiden geschaffen hatte und dafür, dass man sie niemals geschnappt hatte. Vor allem aber war sie dankbar, dass Cindy nie herausgefunden hatte, dass ihre Schwester eine Diebin war.

6.
    I m Flugzeug schliefen alle. Nur Simon blickte aus

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