Der Dieb der Finsternis
erlauben würde, sich selbst und ihrer Schwester die Existenz zu sichern. Während der ganzen Zeit ihrer Ausbildung hatte Iblis ihnen Geld gegeben, hatte dafür gesorgt, dass sie immer ihre Rechnungen bezahlen konnten. Er kam häufig bei ihnen zu Hause vorbei, freundete sich mit Cindy an und brachte jedes Mal taschenweise Lebensmittel mit. Iblis war wie der große Bruder, den KC nie gehabt hatte. Nachdem sie drei Monate lang für alles gesorgt hatte, fühlte es sich gut an, jemanden zu haben, der für sie sorgte.
»Warum tust du das alles?«, fragte KC, drehte sich dabei auf ihrem Stuhl herum und blickte Iblis an, der an seinem Computer saß.
»Als ich noch jung war, habe ich um Hilfe gefleht, habe zu Gott gebetet, er möge mir Geld geben, einen Job, eine Chance. Weißt du, was ich herausgefunden habe? All diese Beterei hat mir bloß falsche Hoffnung geschenkt. Und dann ist mir eines Tages aufgegangen, dass es viel einfacher war zu stehlen, was ich brauchte, und hinterher zu beten und um Vergebung zu bitten.« Iblis hielt einen Moment inne. »Im entscheidenden Moment wird kein Gebet der Welt verhindern können, dass man dich schnappt«, sagte er dann. »Aber was ich dir beibringen kann, wird eine kleine Antwort auf deine Gebete sein, wenn du bei der Arbeit bist.«
»Aber warum tust du das?«, fragte KC noch einmal.
»Um mein Gewissen zu erleichtern. Ich bin ein Mann, der viel Böses auf sich geladen hat, denn ich habe schlimme Dinge getan, sehr schlimme Dinge.« Iblis stockte. KC konnte Reue in seinen hellblauen Augen sehen. »Aber egal, wie schlecht wir auch sind – jeder von uns ist hin und wieder in der Lage, auch einmal etwas Gutes zu tun.«
***
KCs erster wirklicher Raubzug fand in einem Privathaus statt. General Hobi Mobatu war ein Immigrant aus Afrika, der sich seinen Reichtum erworben hatte, indem er die humanitären Hilfsgelder einstrich, die für die kranken und sterbenden Bürger seines Landes bestimmt gewesen waren. Er trug seinen Reichtum nach England, wo er auf großem Fuß lebte in seiner falschen Generalsuniform, die mit Orden geschmückt war, die er sich selbst verliehen und selbstverständlich auch selbst angesteckt hatte.
KC hatte genauestens recherchiert, was Mobatu sich alles angeschafft hatte. Töricht, wie er war, machte er jedes Mal viel Trara darum, wenn er sich ein Kunstwerk kaufte, denn er streichelte sein Ego mit der damit verbundenen Publicity. KC ging seine Bestände zusammen mit Iblis durch, der ihr dabei half, sich für »Das Leiden« von Goetia zu entscheiden. Gemalt worden war es im Jahre 1762, als der Künstler auf dem Höhepunkt seiner Karriere stand. Es zeigte eine Mutter, die ihr krankes Kind in den Armen hielt, während über ihnen in den Himmeln der Krieg tobte.
KC wartete bis zu dem Abend, an dem der General eine Auszeichnung für seine Verdienste um die Menschenrechte erhalten sollte, eine Auszeichnung, die er selbst ins Leben gerufen und finanziert hatte. Er verließ seine Villa um achtzehn Uhr; eine Minute später hatte KC das Schloss an der Hintertür bereits geknackt und die Alarmanlage deaktiviert. Sie verschwendete keine Zeit und eilte sofort ins Wohnzimmer, wo »Das Leiden« gegenüber der Eingangstür an der Wand hing. Sie schaltete den Alarm ab, mit dem der Bilderrahmen gesichert war, nahm das Gemälde heraus, ersetzte es durch eine Fälschung und hatte das Haus um 18.10 Uhr bereits wieder verlassen.
Es dauerte einen ganzen Monat, bis das Bild als gestohlen gemeldet wurde, weil Mobatu selbst nicht wusste, was genau er alles besaß. Die Polizei und die Privatdetektive hörten sich in der Gegend um und befragten die anderen Anwohner, ob sie an jenem warmen Frühlingsabend irgendetwas gesehen hätten. Aber keiner konnte sich erinnern, abgesehen von einer alten Frau, die ein groß gewachsenes Mädchen gesehen haben wollte, das in einer Schuluniform und mit einem Rucksack auf dem Nachhauseweg gewesen war. Die alte Dame versuchte, die Unterhaltung weiterzuführen, weil sie gern ein wenig Gesellschaft hatte, aber die Polizei tat ab, was sie zu sagen hatte, und zog ein Haus weiter.
In den Zeitungen und in der Kunstwelt kursierten wochenlang Neuigkeiten über den Diebstahl, doch fand man nie eine Spur von »Das Leiden«. Das Gemälde war längst an einen reichen Europäer verkauft worden, der es in seiner Privatsammlung aufbewahrte. Iblis hatte KC gezeigt, wie man so ein Stück loswurde, ohne Spuren zu hinterlassen, und wie man seine illegal erworbenen Gelder
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