Der Dieb der Finsternis
nach dem Engel des Todes –, war ein rund zweitausend Quadratmeter großes Anwesen im englischen Landhausstil. Da es keine feste Partnerin in Venues Leben gab, hatte das übergroße Haus eine maskuline Ausstrahlung: Alles war aus Mahagoni und Kirschbaum; die Vorhänge waren dick und schwer, dunkelgrün oder tiefrot. Venue besaß eine riesige Kunstsammlung, die er über die Jahre hinweg mit Akribie zusammengestellt hatte und die erheblich umfangreicher war als die, die er in seinem Büro zur Schau stellte. Die Wände seines Herrenhauses schmückten über hundert Gemälde.
Er hatte zwölf Angestellte, zu denen zwei Küchenchefs zählten, zwei Chauffeure und eine kleine Armee von Hausdienern, die ihn rund um die Uhr versorgten. Das Haus stand auf hügeligem Terrain, zu dem Felder und Wälder gehörten und das sich mit einer Fläche von knapp zweihundertfünfzig Hektar über zwei ländliche Vorstädte Amsterdams erstreckte.
Als er den Blick über seinen Besitz gleiten ließ, über seine Gärten und den Swimmingpool und vorüber an den Ställen und Tennisplätzen, stiegen Zorn und Furcht in ihm auf. Alles zerrann ihm zwischen den Fingern. Seine kleine Insel in der Karibik hatten die Gläubiger ihm bereits weggenommen; seine fünfzig Meter lange Jacht Crowley lag im Trockendock, die Besatzung war entlassen, und es war stündlich mit der Beschlagnahmung zu rechnen. Gut Azrael und sein Privatflugzeug waren bezahlt und gehörten ihm, doch da ihm die Banken immer dichter auf den Fersen waren, würde es nicht mehr lange dauern, bis auch hier die Zwangsversteigerungen begannen. Obwohl Venue noch immer über gewaltige Besitztümer verfügte, schrumpfte sein Vermögen immer schneller.
Und was alles noch schlimmer machte, waren die Gerüchte, die plötzlich kursierten: Gerüchte, dass eine andere Gefahr immer größer wurde, eine Bedrohung, neben der selbst der Verlust seines Imperiums verblasste. Manche Sünden wurden niemals vergessen und verziehen – und Gott wusste, dass Venue ein Mann war, der zahlreiche Sünden begangen hatte, für die er würde büßen müssen.
Venue hatte sich in seiner Jugend durch das Leben treiben lassen, ohne ein Ziel zu haben, das über die sofortige Befriedigung seiner Wünsche und Bedürfnisse hinausging. Als er siebzehn war, war er bereits wegen ständiger Prügeleien von mehreren Schulen geflogen, hatte wegen bewaffneten Raubüberfalls eine Jugendhaftstrafe abgesessen und hatte so viele Autos gestohlen, dass er sich schon gar nicht mehr an die Wagen erinnern konnte. Vor Gericht führte er alles darauf zurück, dass seine Mutter gestorben war, als er fünf Jahre alt gewesen war, und dass er deren Stimme aber noch immer hören könne – eine Erklärung, die einen mitleidigen Richter dazu veranlasste, ihn zu seinem alkoholkranken Vater zurückzuschicken.
Aber sein diebisches, gewalttätiges Verhalten ließ niemals nach. An seinem achtzehnten Geburtstag warf sein Vater ihn aus dem Haus und sagte ihm, er solle nie wiederkommen. Die nächsten zwei Jahre wurden zu einer Ein-Mann-Verbrechensorgie, in deren Verlauf die Taten immer schwerwiegender wurden und ihren Höhepunkt schließlich in einem Mord fanden – was paradoxerweise eine glückliche Fügung war, denn wenn Venue diesen Mord nicht begangen hätte, hätte er nie zu seiner Berufung gefunden.
Vierzig Jahre waren seit damals vergangen. In Strafmaßen gerechnet zweimal lebenslänglich.
Damals hatte Venue fünfzigtausend Pfund bei einer Wette auf ein Fußballspiel verloren. Er weigerte sich, seine Wettschulden zu bezahlen. Als der Buchmacher daraufhin herumerzählte, Venue drücke sich vor seiner Verantwortung, schnitt Venue ihm kurzerhand die Zunge aus dem Hals, stach ihm ein Messer ins Herz und schickte damit jedem die Botschaft, dass es gesünder sei, über Philippe Venue nichts Schlechtes zu sagen.
Er wurde das Ziel einer landesweiten Fahndung; es war nur noch eine Frage von Tagen, bis man ihn finden würde. Venue wusste nicht mehr, wohin er fliehen sollte. Er wurde nicht nur von der Polizei gejagt; die Unterwelt hatte ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt, weil er einen ihrer Leute getötet hatte. Er konnte sich weder auf der einen noch auf der anderen Seite des Gesetzes verstecken und wurde ein Mann, für den es keine Zuflucht mehr gab und der gezwungen war, sich einen Unterschlupf zu suchen.
Er verließ das Land und wurde Priester. Es war keineswegs so, dass er sich dazu berufen fühlte, aber es gab keine bessere Möglichkeit für ihn,
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