Der Dieb der Finsternis
über Eure Studien angestellt.«
Venue saß da und lauschte den Worten Oswyns, der sorgenvoll die grauen Augenbrauen hob.
»Ihr werdet mit diesem Unsinn aufhören, mit dieser Erforschung der Finsternis und des Bösen. Ihr habt Euch einen Einblick verschafft, aber Eure Hingabe ist zur Besessenheit geworden. Das muss ein Ende haben.«
»Aber um Gottes Güte zu erfassen, müssen wir dazu nicht das Böse in seiner düstersten Gestalt verstehen?«
Oswyn wollte kein weiteres Wort hören und befahl Venue, seine fruchtlosen Recherchen einzustellen und seine Aufmerksamkeit Gott und den Bedürfnissen der Menschheit zu weihen.
Zum ersten Mal seit vielen Jahren empfand Venue Zorn. Er verzehrte seine Seele. Es war jenes Gefühl, das in seiner Jugend ständig in seinem Körper getobt hatte und von dem er geglaubt hatte, es wäre verschwunden, seit er Priester geworden war. Doch schließlich fasste er sich wieder, senkte den Kopf, um seine Hochachtung zu entbieten, und verließ das Büro des Monsignores.
Venue hatte nicht die Absicht, mit irgendetwas aufzuhören. Was er tat, das tat er mit Leidenschaft, und wenn er seine Nachforschungen eingestellt hätte, wäre das so gewesen, als hätte er seine Seele verkauft.
Also machte er weiter. Aleister Crowley, der Okkultist, begann ihn zu faszinieren, seine Schriften und seine Hingabe gegenüber allem Übersinnlichen. Er studierte die Schriften von Dr. Robert Woodman, einem der Gründerväter des Hermetischen Ordens der Goldenen Morgenröte; die Arbeiten von Blanche Barton, einer Hohepriesterin der Church of Satan, sowie die Lebensgeschichte von Madame Blavatsky, einer bekannten Okkultistin, die behauptete, mit den Toten sprechen zu können.
Doch während dieser Zeit war er weiterhin von seinem Glauben erfüllt. Die Kirche war sein Zuhause, seine Familie, die Luft, die er atmete. Seine Interessen standen seinem Glauben nicht im Weg; sie machten ihn vielmehr besser. Denn wenn es das Böse gab, wenn die Finsternis und der Teufel existierten, dann gab es mit absoluter Sicherheit einen Gott, und Christus war sein Erlöser.
Im Gegensatz zu seinen Priesterbrüdern hatte Venue das Böse auf der Straße mit eigenen Augen gesehen: Er hatte es in den Herzen und den Hirnen der Unterwelt gesehen. Er hatte es in seinem eigenen Herzen gesehen … und er hatte die Stimmen in seinem Kopf gehört, die ihn beinahe in den Wahnsinn getrieben hatten. Und da er sich selbst für das perfekte Beispiel hielt, glaubte er fest daran, dass das Böse zu besiegen war, dass man die Finsternis begraben und mit Licht ersetzen könne. Stimmen konnten zum Schweigen gebracht werden, Irrsinn konnte vergehen, doch das Böse war eine gleichwertige gegnerische Macht. Eine, die erst das Gleichgewicht schuf und die niemals ignoriert werden durfte.
***
Die Morgensonne flutete durch die bunten Glasfenster der Kapelle. Rot- und Violetttöne färbten den Marmoraltar, vor dem Venue im stummen Gebet kniete, dankbar für sein Leben und seine Erlösung.
Es war das letzte Mal, dass er zu Gott betete.
Vater Oswyn näherte sich ihm von hinten. Er blieb stehen und wartete, bis Venue sich umwandte.
»Vater?«, sagte Oswyn, ohne ihm dabei in die Augen zu blicken. »Würdet Ihr bitte mit mir kommen?«
Venue folgte ihm durch die Kirche und das Pfarrhaus in einen großen, einschüchternden Konferenzraum, in dem es nach Weihrauch und Leder roch. Sechs Priester hatten sich um den Tisch versammelt. Die zwei Stühle vor Kopf waren leer. Venue und Oswyn nahmen darauf Platz. Keiner der sechs anderen Männer blickte Venue in die Augen, als der sich setzte.
Ohne ein Wort zu sagen, legte Oswyn Bücher auf den Tisch – Werke über Hexerei und Okkultismus, Teufelsverehrung und druidische Religion.
»Das hier ist beunruhigend, Vater«, sagte Oswyn. »Ihr versteckt sehr viel vor uns. Ihr versteckt es in Eurem Herzen.«
Venue schaute sich an, was alles auf dem Tisch lag; dann musterte er nacheinander jeden der sieben Priester, die vor ihm saßen. Schließlich blieb sein Blick auf Oswyn ruhen. »Ihr durchsucht also meine persönlichen Sachen und verurteilt mich für das, was ich lese?«
»Was uns beunruhigt ist das, was wir in Eurem Herzen gefunden haben.«
»Wir können unsere Augen nicht verschließen vor dem Bösen, das es in der Welt gibt, das seht Ihr doch sicherlich ein«, sagte Venue. »Mit Schweigen kann man das Böse nicht besiegen. Wissen ist Macht.«
»Wir streben aber nicht nach Macht.« Oswyn schwieg zunächst; der Augenblick
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