Der Dieb der Finsternis
der Original-Briefseite zu sehen, während auf der Rückseite die englische Übersetzung zu lesen war.
»Was ist das?«, fragte Cindy, als sie das vergilbte historische Schreiben sah.
Simon lächelte. »Nur ein bisschen Recherche.«
Cindy blickte Busch an. »Darf ich dich mal etwas fragen?«
»Nur zu.«
»Sind KC und Michael ernsthaft zusammen, oder ist das nur ein Abenteuer?«
»Nun ja …« Für einen Moment war Busch sprachlos, denn zum jetzigen Zeitpunkt wussten Michael und KC nicht einmal selbst, wie es um ihre Beziehung stand. »Man könnte sagen, dass sie jetzt ungefähr einen Monat zusammen sind.«
»Na, Gott sei Dank.« Cindy richtete den Blick auf Simon. »Darf ich fragen, warum du und meine Schwester im Gefängnis wart?«
»Ich glaube, das fragst du deine Schwester am besten selbst.«
»Hat es mit dem da zu tun?«, fragte Cindy und zeigte auf den Brief.
»Nein, es war alles nur ein Missverständnis«, gab Simon zurück und betete sogleich um Vergebung für diese Lüge. »Ich bin überzeugt, dass KC dir alles darüber erzählen wird, wenn sie zurück ist.«
Cindy ließ den Blick zwischen Busch und Simon schweifen. Simon konnte sehen, dass sie ihm kein Wort abgekauft hatte.
»KC wollte nicht, dass ich herkomme«, sagte Cindy in nüchternem Tonfall.
»Warum bist du dann gekommen?«, fragte Busch unschuldig.
»Sie ist gerade aus dem Gefängnis geflohen.« Cindy starrte Busch an. »Was würdest du da tun?«
Busch nickte, als hätte er vollstes Verständnis.
»Wenn meine perfekte Schwester im Gefängnis endet, wirft das Fragen auf.« Sie blickte Busch an. »Du wirst mir auch nichts erzählen, oder?«
»Ich glaube nicht, dass mir das zusteht. Das ist eine Sache zwischen dir und KC. Ich bin sicher, sie wird dir alles erklären, wenn sie zurückkommt.«
Cindy zog ihr Mobiltelefon aus der Tasche und wählte eine Nummer.
»Hallo, Lara, hier Cindy. Du musst mein gesamtes Büro einpacken. Sorg dafür, dass du die Zahlen des Pliant-Vertrages hast, bevor wir am Montag bei SQS anfangen … und du musst mir in Istanbul ein nettes Hotel besorgen. Und wenn du schon dabei bist …« Cindy war nun ganz in ihr Telefonat vertieft.
Simon nutzte die Gunst des Augenblicks und las die Übersetzung des Briefes. Er ließ sich Zeit, nahm jedes einzelne Wort in sich auf und war am Ende umso verwirrter. Er las den Brief erneut, dieses Mal noch langsamer.
Patriarch Makarije I.
Erzbischof Makarije Sokolovi
Maka
Ich schreibe diesen Brief, weil ich fürchte, dass ich den Winter nicht mehr erleben werde. Vieles hat sich verändert, seit Sultan Murad III. den Thron bestiegen hat; er ist leicht zu beeinflussen von seiner Mutter, der Valide Sultan, die mächtig geworden und eifersüchtig ist auf die Menschen, mit denen ich Umgang pflege. Meine engsten Freunde, Vertrauten und Verbündeten sind unter mysteriösen Umständen zu Tode gekommen, und wenn es Allahs Wunsch ist, diesen alten Mann zu holen, so werde ich den Tod, der mir das Paradies verheißt, das mich auf der anderen Seite erwartet, mit offenen Armen begrüßen.
In diesem siebten Jahrzehnt meines Lebens werde ich immer nachdenklicher. Ich vermisse unser Zuhause, unsere Kindheit, die Zeiten, da unsere Bedürfnisse schlichter Natur waren und wir nur wenige Sorgen hatten. Immer häufiger ertappe ich mich dabei, wie ich an die dichten grünen Wälder zurückdenke und an die Hügel und Berge, in denen wir gespielt haben und noch keine Ahnung hatten von der Verderbtheit der Menschen, von der Gier, dem Bösen und der Furcht, die sich in den Herzen so vieler einnistet.
Wer hätte ahnen können, welches Schicksal uns bestimmt war und welchen Einfluss wir haben würden auf die Welt? Unsere Eltern haben uns Werte und Lehren vermittelt, die wir beide auf unser gesamtes Leben angewendet haben. Als Söhne Abrahams haben wir eine Verantwortung, nicht nur unserem eigenen Glauben gegenüber, sondern auch gegenüber den Religionen dieser Welt. Und für Männer wie uns wird die Verantwortung auch dann nicht enden, wenn wir unsere körperlichen Hüllen abgestreift haben.
Ich fürchte mich vor der Karte, die ich dir bei deinem letzten Besuch gezeigt habe, der Karte meines verstorbenen Freundes Piri Reis, und ich fürchte mich vor dem Ort, zu dem sie führt. Ich war bemüht, dir die Karte im letzten Monat zukommen zu lassen, weil ich hoffte, dass du sie so sicher aufbewahren kannst, wie ich es in den letzten zwanzig Jahren getan habe, doch habe ich keine Dienerschaft mehr, der ich
Weitere Kostenlose Bücher