Der Dieb der Finsternis
›Türkisches Bad‹ verschandelt haben. Der Hamam hatte größte Bedeutung, da man glaubte, man reinige hier nicht nur den Körper, sondern auch den Verstand und die Seele. Es war der Ort, an dem eine Frau ihren Kopf von den Sorgen ihres Lebens befreien konnte.«
In der Mitte des Fußbodens befand sich ein großer Abfluss mit einem Rost aus poliertem Messing. Er war nicht eingelassen, sondern befand sich auf gleicher Höhe wie der Marmorboden, und sein Gitter hatte jeweils zweieinhalb Zentimeter große Löcher, damit das Wasser des Hamams abfließen konnte.
Hamer stieg wieder die Treppe hinauf und dozierte dabei weiter über den Hamam, dessen Geschichte und seinen vermeintlichen medizinischen Nutzen, aber weder KC noch Michael hörten zu. Beide standen vor dem Abfluss. KC zog eine Münze aus der Tasche, ließ sie durch das Gitter fallen und wartete, bis sie auf dem Boden aufschlug. Drei Sekunden später ertönte ein platschendes Geräusch.
»Mist«, sagte KC. »Da unten ist eine Zisterne. »Ich hasse es, im Wasser arbeiten zu müssen.«
»Musst du da denn rein?«
»Das hier ist nicht mehr der Raum, der er vor Hunderten von Jahren war. Inzwischen ist er verschönert und renoviert worden. Die Karte des Piri Reis, die du im Schaukasten der Schatzkammer gesehen hast, wurde hier unten in einem Abfallhaufen gefunden, aber es war eben nur die Hälfte der Karte, denn sie wurde in zwei Teile zerrissen. Die andere Hälfte hat man vor nahezu fünfhundert Jahren irgendwo hier unter uns versteckt.
Es gab unter dem Palast geheime Gänge, die dazu genutzt wurden, Konkubinen aus dem Harem heraus-und wieder hineinzuschleusen. Sie wurden von den schwarzen Eunuchen bewacht, die über den Harem herrschten. Es gab hier früher versteckte Treppenhäuser, nur sind die längst verfallen, und die Zugänge hat man versiegelt.«
»Entschuldigen Sie, Mr. und Mrs. Sullivan.«
KC und Michael erschraken, als sie Hamers Stimme vernahmen. Sie drehten sich um und sahen, dass er dastand, auf seine Armbanduhr schaute und auf die Treppe wies, die nach oben führte.
»Entschuldigung«, sagte KC; dann sahen sie und Michael zu, dass sie aus dem Hamam herauskamen. Wieder schlossen sie sich der Gruppe an, hielten sich aber auch dieses Mal ganz hinten.
»Darf ich dich etwas fragen?«
»Natürlich«, erwiderte Michael.
»Warum hast du es getan?«
»Was getan?«, fragte Michael verwirrt.
»Gestohlen.«
Michael dachte über ihre Frage nach, konnte ihr aber nicht antworten. Dieses Thema war zu persönlich. Michael hatte noch niemals einem Menschen erlaubt, ihm in die Seele zu blicken. Nicht einmal mit seiner verstorbenen Frau Mary hatte er je darüber gesprochen, warum er ein Dieb war. Niemand kannte Michaels Gründe. Also antwortete er ihr auf die einzige Weise, auf die er ihr antworten konnte. »Warum hast du es getan?«
KC sah Michael an. Sie hasste Fragen, denen mit Gegenfragen begegnet wurde, aber wer wollte, dass man ihm traute, musste zuerst einmal selbst lernen, anderen zu vertrauen. »Wegen meiner Schwester.«
»Hat deine Schwester dich dazu getrieben?«, witzelte Michael.
KC lächelte. »In gewisser Weise. Unsere Mutter starb, als ich fünfzehn war. Wir hatten kein Geld.« KC schwieg einen Moment, denn sie erinnerte sich plötzlich an die Ereignisse, die hinter diesen Worten standen. »Manchmal«, fuhr sie schließlich fort, »zwingt uns das Leben, gewisse Dinge zu tun für die Menschen, die wir lieben und die uns etwas bedeuten – egal, wie widerwärtig diese Dinge sind.«
Michael nickte.
»Sie wollten uns trennen und Cindy in eine Pflegefamilie stecken.« Trauer schwang in ihrer Stimme mit. »Sie war erst neun. Und es war die einzige Möglichkeit, die mir eingefallen ist, an genug Geld zu kommen, damit wir überleben konnten.«
»Hast du sie großgezogen?«
KC nickte, und Michael fühlte sich scheußlich. Das war eine ganz neue Seite an ihr, mit der er nicht gerechnet hatte – ein Kind, das gezwungen gewesen war, ein Kind großzuziehen und sich in der Welt zu behaupten.
»Ich wurde ihre Mutter, ihre Freundin. Ich musste ihr bei den Hausaufgaben helfen. Stell dir vor: Ich bin von der Schule abgegangen, um zu arbeiten, aber ich musste ihr bei den Mathematikaufgaben und bei Fremdsprachen helfen. Aber es hat geklappt. Im Lauf der Jahre habe ich alles gelernt, was sie studiert hat. Ich spreche vier Sprachen und kenne mich ziemlich gut mit trigonometrischen Gleichungen aus. Ich habe nur keine Zeugnisse.«
»Und du bist nie
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