Der digitale Daemon
Zeitungen individuell zusammengestellt werden. Und wenn nicht mehr der Einkäufer des Supermarktes unser Warenangebot zusammenstellt, sondern der elektronische Assistent in unserem Handy, dann drohen selbst emotional starke Marken an Wert zu verlieren.
Dieser Trend ist unaufhaltbar. Denn die Masse entstand auch bisher nicht aus unserer Sehnsucht, zu ihr zu gehören. Sie entstand dadurch, dass einige Menschen die Möglichkeit hatten, sich aus der Masse zu erheben, weil sie mehr oder schnellere Informationen hatten als alle anderen. Wir Wissenschaftler nennen das die Asymmetrie der Informationen. Doch damit ist es in Zeiten der Cloud vorbei. Denn die neue Grundregel lautet: Jede Information für jeden Menschen zu jeder Zeit an jedem Ort. Dies wäre also die größtmögliche Synchronität. Was geschieht dann?
Seien wir ehrlich: Zunächst steigt mit all diesen Cloud-Visionen die Komplexität für die Menschen ins Unbeherrschbare. Wir haben zu jeder Zeit und an jedem Ort Zugriff auf alle denkbaren Informationen und Angebote. Aber wer könnte und wollte damit umgehen? Niemand! Der Cheftrendforscher eines der größten deutschen Konzerne beschrieb diese Welt in einer Diskussion unseres 2b AHEAD ThinkTanks als »multioptionale Orientierungslosigkeit«! Alles kann, nichts geht!
Die Frage: »Was tun wir Konsumenten dann?«, umkreist die Diskussionen der Experten in allen Studien, auf Tagungen und Kongressen. Dabei ist die Antwort so einfach. Fast schon banal! Wir Konsumenten werden in dieser Welt nach Filtern suchen! Dies ist nichts Ungewöhnliches, denn Filtersysteme kennen wir in unserem Leben bereits. Auch früher haben wir uns auf Informationsfilter verlassen: auf Lehrer, Redaktionen, Makler, Trainer, Einkäufer, Reiseführer, Marken und Berater. Deren Geschäfte basieren auf der asymmetrischen Verteilung von Informationen, das heißt, sie verfügen zeitiger oder in besserer Qualität über Informationen und verdienen ihr Geld damit, dass sie anderen die Informationen neu sortieren und individualisiert zur Verfügung stellen.
Dies ist nicht neu. Neu ist hingegen, dass wir Konsumenten uns daran gewöhnen werden, dass technologische Filter »klüger« sind als menschliche Filter. Sie bringen uns bessere Ergebnisse! Künftig werden die Aufgabe des Informationsfilterns mehr und mehr Aggregatoren und intelligente Softwarefilter übernehmen, die uns die Informationen – anders als herkömmliche Filter – nach unseren individuellen Vorlieben und situativen Bedürfnissen vorsortieren. Das Amazon-Empfehlungssystem, das Online-Marketing nach Google-Prinzip und die Barcodescanner des iPhones sind die Vorläufer dieser intelligenten, individuellen Filtersysteme. Dann werden wir eine mehr und mehr symmetrische Informationsverteilung erleben, die jedermann in die Lage versetzt, zu jeder Zeit auf alle beliebigen Informationen zugreifen zu können. Jeder Amateursportler trainiert dann mit Profimethoden, jeder Kunde besitzt das Wissen des Fachberaters und jeder Fernsehzuschauer erhält sein individuelles Programm.
Aus Kundensicht ist dies eine großartige Welt. Denn wir werden uns mehr und mehr daran gewöhnen, dass wir die Filterintelligenz in unserer Hosentasche tragen. Besonders aktive Kunden werden diesen Gewinn an Selbstbestimmung als persönliche Freiheit feiern. Weniger aktive Kunden werden sich freuen, dass sie nichts tun müssen und trotzdem individuell für sie passende Angebote bekommen. Denn das ist der wirkliche Charme der Kundenwelten 2020: Aktive Menschen können all diese Dinge schon heute. Doch 2020 dürfen wir Couch-Potatoes bleiben und bekommen trotzdem individuelle Angebote.
Doch neben den Gewinnern gibt es auch Verlierer. Denn was wird aus Verkäufern, wenn der Kunde dank Barcodescanner und Amazon viel besser weiß, ob das Produkt zu ihm passt, wie es andere Kunden bewertet haben und ob es um die Ecke oder online billiger zu haben ist? Vom Experten zum Kassierer! Was wird aus Lehrern, wenn ihre Schüler per E-Book immer mehr wissen, als das Ministerium vorschreibt? Vom Experten zum Vorleser! Was wird aus Handwerkern, wenn Häuslebauer sich für ihr Haus keine Heizung mehr empfehlen lassen, sondern den Handwerker beauftragen, jene bestimmte Heizung XY einzubauen, die angeblich die beste sein soll … sagt das Internet. Vom Experten zum Handlanger! Was wird aus Touristenführern, wenn in der Reisegruppe immer einer ist, der per Handy mehr über die Geschichte von Kunstdenkmälern zu berichten weiß, als der
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