Der digitale Daemon

anders als den Großen. Sie haben von sich selbst die Vorstellung des Tankers, oder zumindest des Beibootes eines Tankers. Konzerne und multinationale Unternehmen halten sich sogar oft für Supertanker. Sie meinen damit: Supertanker sind wie wir – groß und schwerfällig. Sie haben zwar viele fähige Experten an Bord, die in einer strengen Hierarchie arbeiten. Auch die Kapitäne von Supertankern sind gut ausgewählt, gut ausgebildet, lassen sich gut beraten und treffen weise Entscheidungen. Die wichtigste Eigenschaft von Tankern ist aber: Wenn sie einmal in Fahrt sind, dann sind sie unbremsbar und haben einen gigantisch großen Wendekreis. Man sollte also Verständnis dafür haben, dass Tankerkapitäne dazu neigen, Regelbrüche in ihrem Ozean zu ignorieren.
    Ganz ähnlich geht es derzeit auch kleinen und mittelständischen Unternehmen. Sie glauben an die Unendlichkeit des eigenen Geschäftsmodells. Damit wähnen sie sich in Sicherheit und begeben sich und ihr Unternehmen gleichzeitig in größte Gefahr. Doch warum sehen sie die Gefahr nicht?
    Es ist ein schwacher Trost, doch die IT-Branche ist mit diesem Phänomen nicht allein. Es gibt Tausende Beispiele aus allen Branchen, in denen in den vergangenen hundert Jahren die Regelbrecher gewonnen und die Beharrenden verloren haben. Doch warum ist das so? Warum verschwanden die beharrenden Unternehmen zu Hunderten in der Insolvenz oder in völliger Bedeutungslosigkeit? Verfügten sie nicht über mehr Ressourcen und waren damit viel besser für den Kampf gerüstet? Hatten Sie nicht mehr Geld zur Verfügung? Besaßen sie nicht Patente, geschulte Mitarbeiter, eine solide Einnahmenbasis, ein bestehendes Vertriebsnetz und gute, eingeführte Marken?
    Die Antwort mag vielleicht den einen oder anderen erschrecken. Sie lautet: Es gibt Zeiten, in denen es schlecht ist, zu viel Kompetenz zu haben. Unternehmen verlieren ihre Geschäfte, weil sie zu viel davon verstehen. Dies mag komisch klingen, wird aber in Zeiten von Regelbrüchen zur Normalität. Denn diese Regelbrüche führen dazu, dass aus Sichtweise der Kunden neue Nutzenbedürfnisse entstehen. Dies erfordert neue Technologien und Geschäftsmodelle. Exakt an dieser Stelle wird für die Etablierten ihre Kompetenz in alten Technologien und Geschäftsmodellen zum Hemmschuh. Sie haben in den vergangenen Jahren viel Zeit und Energie investiert, um ihre Kompetenz aufzubauen. Entsprechend wertvoll erscheint sie ihnen. Dabei verkennen sie, dass der Wert ihrer Kompetenz sich nicht nach dem eingeflossenen Investment bemisst, sondern nach der aktuellen Lösungsqualität im Markt. Daher beharren sie auf ihrer immer nutzloser werdenden Kompetenz. Und genau dieses Beharren könnte vielen der heute noch nicht reagierenden KMU zum Verhängnis werden.
    Für jene KMU allerdings, die schnell reagieren, bringt das Beharren der anderen einen großen strategischen Vorsprung. Ihr mentaler Vorteil ist: Sie messen den alten Geschäftsmodellen und deren obsolet gewordenen Kompetenzprofilen keinen Wert bei. Sie haben ja nicht ihr halbes Arbeitsleben damit verbracht, sich diese Kompetenzen zu erwerben. Also besteht für sie auch kein Grund, sie zu verteidigen.
Die Gewinner und die Verlierer der Supernova
    Wenn Sie Verantwortung für ein Unternehmen in der IT-Branche haben und den Gedanken an Tanker oder Beiboot in sich spüren … vergessen Sie ihn! Sie sind kein Tankerkapitän! Sie waren es nie! Wer hat Ihnen diesen Unsinn eigentlich erzählt? Stellen Sie sich vor, Sie wären ein Flottenadmiral! Hätten Sie dann nicht mehrere Schiffe unter Ihrer Flagge? Könnten Sie dann nicht eines oder mehrere auf völlig neue Routen quer über den Ozean schicken und ihnen den Auftrag geben, die Geschäftsmodelle der feindlichen großen Schiffe anzugreifen? Dies ist exakt die Strategie, mit der Unternehmen in Zeiten von Regelbrüchen reagieren müssen.
    In der IT-Branche bedeutet das heute zunächst eines: Analysieren Sie, welche Regeln durch die Cloud-Technologie verändert werden. Überall hier können Sie wichtige strategische Vorteile erzielen. Auf den Punkt gebracht ist der wichtigste Regelbruch: der Tod der »Masse«! Das Phänomen der »Masse« wird allmählich aus unserer Gesellschaft verschwinden. Das bedeutet: Es gibt keine »lenkbare« Masse an Käufern mehr, wenn deren Einkaufszettel durch individuelle, elektronische Assistenten zusammengestellt wird. Es gibt keine »lenkbare« Masse an Zuschauern für Werbebotschaften mehr, wenn Fernsehprogramme und