Der digitale Daemon
wird durch die Annahme beantwortet, dass jedwedes Ergebnis eines demokratischen Prozesses dann auch demokratisch legitimiert sei. Diese Legitimation wird als Kette quasi durch alle Prozessschritte vererbt. Das Wahlergebnis ist als Resultat des Wahlprozesses legitimiert, die Wahl der Regierung dann durch die Einhaltung der Geschäftsordnung des Parlamentes, das ja wiederum durch den Wahlprozess legitimiert ist, etc. Übersehen wird dabei aber, dass diese Regel nur für einen durchweg legitimierten Prozess gelten kann. Wenn die Wahl der Bevölkerung beispielsweise auf falschen Annahmen der Wähler und Behauptungen der Politiker beruht, ist sie dann weiterhin legitimiert? Die Gerichte sagen nein, wie bereits die Wiederholung einer Kommunalwahl zeigte. Diese Wahlwiederholung wurde notwendig, weil im Vorfeld der Wahl die Bevölkerung über die Haushaltslage der Stadt belogen wurde.
Damit eine Prozesskette also legitimiert bleibt, muss jedes einzelne Kettenglied legitimiert sein. Für die Wahl gilt dabei die Notwendigkeit, dass die Bürger im Vorfeld alle relevanten Informationen erhalten. Genau dies findet in unserem parlamentarischen System aber nicht ausreichend statt. Beispielsweise finden die wichtigen Aspekte der Debatten in der Gesetzgebung hinter geschlossenen Türen statt. Ausschusssitzungen des Bundestages sind grundsätzlich nicht öffentlich, die noch wichtigeren Minister- und Koalitionskonferenzen sind es sowieso nicht.
Wie soll dann aber ein Bürger überprüfen, ob ein Politiker sich tatsächlich gemäß seiner Versprechen verhält? Differenzen zwischen der öffentlichen Darstellung und dem nicht öffentlichen Verhandlungsverhalten sind ja nicht unüblich. Im Grunde genommen sind sie ja einer der Gründe für die Nichtöffentlichkeit solcher Sitzungen. Ein Politiker entzieht sich der Kontrolle durch den Bürger, er signalisiert Misstrauen gegenüber dem Wähler und die Angst vor Unverständnis für einen Richtungswechsel. Vertrauen aber basiert auf Gegenseitigkeit. Wie soll der Wähler also dem Politiker vertrauen, wenn der sich diesem Wechsel entzieht? Implizit nimmt die Politik hier an, dass der Bürger unverständig ist.
Das Problem damit ist nun aber, dass diese mangelnde Transparenz die Aufklärung von Vorwürfen in beide Richtungen verhindert. Weder kann der Politiker ein korrektes Verhalten beweisen, noch kann der Bürger Fehlverhalten belegen. Ob eine Entscheidung nun also die Folge einer privaten Beziehung zu einem Lobbyisten oder der Annahme von Geschenken ist oder die legitime Folge einer Abwägung der Vor- und Nachteile, lässt sich nicht aufzeigen. Dann stellt sich nur noch eine mögliche Frage: Vertraut der Bürger dem Politiker oder nicht? Streng nach dem Motto »Wo Rauch ist, da ist auch Feuer« wird dieses Vertrauen aber immer schwächer und mit jeder umstrittenen Entscheidung abgebaut werden. Diese Misstrauensspirale ist bei uns sehr weit fortgeschritten. Lösung kann nur eine grundsätzliche Änderung des Verhaltens der politischen Akteure bringen. Ein Mehr an Transparenz ermöglicht ja eben nicht nur die Kontrolle durch den Bürger, es ermöglicht auch den Beleg des korrekten Verhaltens.
Wenn wir aktuelle Beispiele betrachten, so wird deutlich, dass Transparenz auch einer Radikalisierung der Positionen Vorschub leisten könnte. Die Debatte um die Vertiefung der europäischen Einheit bzw. um die Lösung der Staatsschuldenkrise ist ein solches Beispiel. Diese Debatten werden beinahe ausschließlich in Gipfelkonferenzen geführt. Die parlamentarische Beteiligung wird so spät und so gering wie möglich gesucht, eine informierte, öffentliche Debatte findet kaum statt. Richtungswechsel in der Haltung der Regierung bleiben so unverständlich und für die Bevölkerung überraschend, Akzeptanz für die Entscheidungen wird nicht geschaffen. Wenig überraschend führt das einerseits zu einer Legendenbildung über die Folgen des Regierungshandelns und andererseits zu einer Radikalisierung der Bevölkerung. Die Europaskepsis ist in Deutschland so hoch wie selten zuvor, und dabei steht Deutschland aktuell noch sehr gut da und hat in den vergangenen Jahren sichtlich vom Euro und der EU profitiert. Abhilfe könnte es hier schaffen, wenn Diskussionen um die Zukunft Europas offen geführt würden. Sichtbar ist nur das Tagewerk der Regierung, nicht aber die grundlegende Zielausrichtung oder die Vision im Hintergrund. Ohne diese bleibt das Tagewerk aber Stückwerk. Eine offene Diskussion würde
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