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Der Distelfink

Der Distelfink

Titel: Der Distelfink Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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schaute starr zu dem mächtigen Deckengewölbe zwei Stockwerke über mir hinauf. Wenn ich angestrengt genug hinaufstarrte, bekam ich manchmal das Gefühl, dort oben herumzuschweben wie eine Feder– ein Trick aus früher Kindheit, den ich immer weniger beherrschte, je älter ich wurde.
    Unterdessen angelte meine Mutter– rotnasig und atemlos von unserem Sprint durch den Regen– nach ihrem Portemonnaie. » Wenn wir fertig sind, springe ich vielleicht noch schnell in den Museumsshop « , sagte sie. » Ich bin sicher, das Letzte, was Mathilde sich wünscht, ist ein Kunstbuch, aber sie wird sich kaum groß darüber beklagen können, ohne dass es dumm klingt. «
    » Igitt « , sagte ich. » Das Geschenk ist für Mathilde? « Mathilde war Art Director in der Werbeagentur, in der meine Mutter arbeitete. Sie war die Tochter eines französischen Großimporteurs für Stoffe, jünger als meine Mutter und notorisch pingelig: Sie neigte zu Wutanfällen, wenn der Fahrzeugservice oder das Catering nicht ihren Ansprüchen genügte.
    » Yep. « Wortlos reichte sie mir einen Streifen Kaugummi, den ich annahm, und warf die Packung wieder in ihre Handtasche. » Ich meine, das ist doch total Mathildes Ding– das passende Geschenk, das nicht viel Geld kosten sollte. Der perfekte, preiswerte Briefbeschwerer vom Flohmarkt. Was vermutlich fantastisch wäre, wenn einer von uns die Zeit hätte, nach Downtown zu fahren und den Flohmarkt abzusuchen. Letztes Jahr, als Pru an der Reihe war…? Sie hat Panik gekriegt, ist in der Mittagspause zu Saks gerannt und hat am Ende zusätzlich zu dem, was sie ihr mitgegeben hatten, noch fünfzig Dollar von ihrem eigenen Geld draufgelegt, um eine Sonnenbrille zu kaufen, Tom Ford, glaube ich, und Mathilde musste trotzdem noch ihren Spruch über Amerikaner und Konsumkultur loswerden. Dabei ist Pru nicht mal Amerikanerin, sondern Australierin. «
    » Hast du mit Sergio darüber geredet? « , fragte ich. Sergio– selten im Büro, aber oft in der Society-Presse mit Leuten wie Donatella Versace– war der millionenschwere Eigentümer der Firma, in der meine Mutter arbeitete. » Mit Sergio über etwas reden « entsprach etwa der Frage: » Was würde Jesus tun? «
    » Sergios Vorstellung von einem Kunstband ist Helmut Newton. Oder vielleicht dieses Coffeetable-Buch, das Madonna vor einiger Zeit herausgebracht hat. «
    Ich wollte fragen, wer Helmut Newton war, aber dann hatte ich eine bessere Idee. » Wieso schenkst du ihr keine Metro Card? «
    Meine Mutter verdrehte die Augen. » Glaub mir, genau das wär’s. « Kürzlich hatte es Aufruhr in der Firma gegeben, als Mathilde mit dem Auto in einen Stau geraten und bei einem Goldschmied in Williamsburg gestrandet war.
    » Quasi anonym. Leg ihr eine auf den Schreibtisch, eine alte Monatskarte, ohne Guthaben. Nur um zu sehen, was sie macht. «
    » Ich kann dir sagen, was sie macht. « Meine Mutter schob ihren Mitgliedsausweis unter dem Fenster des Kartenschalters durch. » Sie feuert ihre Assistentin und wahrscheinlich die Hälfte der Leute in der Kreativabteilung. «
    Die Werbeagentur, in der sie arbeitete, war auf Accessoires für Frauen spezialisiert. Unter den aufgeregten und leicht bösartigen Augen Mathildes beaufsichtigte meine Mutter den ganzen Tag Fotoshootings mit Kristallohrringen, die auf Verwehungen von künstlichem Festtagsschnee glitzerten, und Krokohandtaschen, die unbeaufsichtigt auf den Rücksitzen verlassener Limousinen in himmlischen Lichtkränzen leuchteten. Sie war gut in dem, was sie tat; sie arbeitete lieber hinter der Kamera als davor, und ich weiß, es war ein Kick für sie, wenn sie ihre Arbeit auf Postern in der U-Bahn und Plakatwänden am Times Square sah. Aber bei allem Glanz und Glamour ihres Jobs (Champagnerfrühstücke und Präsentpakete von Bergdorf) gehörten doch auch lange Überstunden dazu, und im Zentrum des Ganzen gab es eine Leere, die sie– das wusste ich– traurig machte. Eigentlich wäre sie lieber wieder zur Schule gegangen, aber natürlich wussten wir beide, dass die Chancen dafür jetzt schlecht standen, nachdem mein Vater abgehauen war.
    » Okay. « Sie wandte sich vom Schalter ab und reichte mir mein Abzeichen. » Hilf mir, die Zeit im Auge zu behalten, ja? Es ist eine Riesenausstellung « , sie deutete auf ein Plakat: PORTRÄT UND STILLLEBEN : NÖRDLICHE MEISTERWERKE DES GOLDENEN ZEITALTERS , » und wir können bei einem Besuch nicht alles sehen, aber es gibt ein paar Sachen… «
    Ihre Stimme verwehte, als ich

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