Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Distelfink

Der Distelfink

Titel: Der Distelfink Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
Vom Netzwerk:
weil ich mich nicht mehr an ihren richtigen Namen erinnern kann) über Nacht zwischen uns getreten war und praktisch Besitz von Boris ergriffen hatte.
    Erst war er freitagabends beschäftigt. Dann das ganze Wochenende– nicht nur abends, sondern auch tagsüber. Bald hieß es, Kotku hier und Kotku da, und ehe ich michs versah, aßen Popper und ich abends alleine vor dem Fernseher.
    » Ist sie nicht fantastisch? « , fragte Boris mich wieder, nachdem er sie das erste Mal mit zu mir gebracht hatte– ein höchst misslungener Abend, an dem wir uns alle drei so bekifft hatten, dass wir uns kaum noch bewegen konnten, bevor die beiden auf dem Sofa herumrollten, während ich mit dem Rücken zu ihnen auf dem Boden saß und versuchte, mich auf die Wiederholung von Outer Limits – Die unbekannte Dimension zu konzentrieren. » Was denkst du? «
    » Nun ja, ich meine… « Was wollte er von mir hören? » Sie mag dich. Ganz sicher. «
    Er zappelte rastlos herum. Wir saßen draußen am Pool, obwohl es zu windig und zu kalt zum Schwimmen war. » Nein, wirklich. Was hältst du von ih r ? Sag die Wahrheit, Potter « , fuhr er fort, als ich zögerte.
    » Ich weiß nicht « , sagte ich skeptisch und dann– als er mich weiterhin ansah: » Ehrlich? Ich weiß nicht, Boris. Sie wirkt irgendwie verzweifelt. «
    » Ja? Ist das schlecht? «
    Er klang ernsthaft neugierig– nicht wütend, nicht sarkastisch.
    » Na ja « , sagte ich verblüfft. » Vielleicht nicht. «
    Boris, die Wangen rosig vom Wodka, legte die Hand aufs Herz. » Ich liebe sie, Potter. Ehrlich. Das ist das Wahrhaftigste, was mir im ganzen Leben passiert ist. «
    Ich war so verlegen, dass ich den Blick abwenden musste.
    » Kleine dünne Hexe! « Er seufzte selig. » In meinen Armen sie ist so knochig und leicht! Wie Luft! « Rätselhafterweise schien Boris Kotku genau aus den Gründen zu mögen, warum ich sie so beunruhigend fand: ihr streunerkatzenhaft geschmeidiger Körper, ihre dürre, bedürftige Reife. » Und so tapfer und klug, so ein großes Herz! Alles, was ich will, ist auf sie aufzupassen und sie vor diesem Mike zu beschützen. Weißt du? «
    Ich goss mir stumm einen weiteren Wodka ein, obwohl ich eigentlich keinen mehr brauchte. Die ganze Kotku-Sache war doppelt verwirrend, weil Kotku– wie Boris mir selbst mit unverkennbar stolzem Unterton berichtet hatte– schon einen Freund hatte: einen sechsundzwanzigjährigen Typen namens Mike McNatt, der ein Motorrad hatte und für einen Pool-Reinigungs-Service arbeitete. » Super « , sagte ich, als Boris mir diese Neuigkeit verkündete. » Wir sollten ihn herbestellen, damit er uns beim Saugen hilft. « Ich hatte es gründlich satt, mich um den Pool zu kümmern (eine Aufgabe, die hauptsächlich an mir hängenblieb), vor allem weil Xandra nie die richtigen oder genug Chemikalien besorgte.
    Boris wischte sich mit dem Handballen die Augen. » Im Ernst, Potter. Ich glaube, sie hat Angst vor ihm. Sie will Schluss machen, aber sie traut sich nicht. Sie versucht, ihn zu überreden, zu einem Armee-Rekrutierer zu gehen. «
    » Du solltest aufpassen, dass der Kerl dich nicht sucht. «
    » Mich? « Er schnaubte. » Um sie mache ich mir Sorgen. Sie ist so winzig! Siebenunddreißig Kilo! «
    » Ja, ja. « Kotku behauptete, » borderline-magersüchtig « zu sein, und brauchte, um Boris in Aufregung zu versetzen, nur zu erwähnen, dass sie den ganzen Tag noch nichts gegessen hatte.
    Er gab mir einen Klaps auf den Kopf. » Du sitzt zu viel herum hier allein « , sagte er, hockte sich neben mich und ließ seine Füße in denPool baumeln. » Komm heute Abend zu Kotku. Bring jemand mit. «
    » Zum Beispiel…? «
    Boris zuckte die Schultern. » Was ist mit heißem kleinem Blondie mit Jungsfrisur, aus deinem Geschichtskurs? Die Schwimmerin? «
    » Hadley? « Ich schüttelte den Kopf. » Niemals. «
    » Doch! Mach! Sie ist heiß! Und sie würde garantiert kommen! «
    » Glaub mir, das ist keine gute Idee. «
    » Ich frag sie für dich! Komm schon. Sie ist freundlich und redet immer mit dir. Sollen wir sie anrufen? «
    » Nein! Das ist es nicht… lass es! « Ich packte seinen Ärmel, als er aufstehen wollte.
    » Kein Mumm! «
    » Boris! « Er war schon auf dem Weg zum Telefon im Haus. » Nicht. Ich meine es ernst. Sie wird nicht kommen. «
    » Und warum nicht? «
    Sein spöttischer Unterton ärgerte mich. » Ehrlich? Weil… « Kotku eine Schlampe ist, wollte ich antworten, was nur die offenkundige Wahrheit war, doch stattdessen sagte ich:

Weitere Kostenlose Bücher