Der Distelfink
ein bisschen zu eng, und wenn du die Ärmel hochkrempelst, werden sie ganz gut aussehen… «
XXVIII
Ich war jetzt seit fast einem halben Jahr in Las Vegas, aber erst zum vierten oder fünften Mal am Strip, und Boris (der sich ganz zufrieden in dem kleinen Orbit zwischen Schule, Shopping Plaza und Zuhause bewegte) war praktisch überhaupt noch nie im eigentlichen Vegas gewesen. Staunend starrten wir die Neon-Wasserfälle an, Elektrizität loderte und pulsierte in sprudelnden Kaskaden um uns herum, und Boris’ aufwärtsgewandtes Gesicht leuchtete rot und dann golden in der irrwitzigen Lichterflut.
Im Venetian Hotel steuerten Gondolieri über einen echten Kanal mit echtem, chemisch riechendem Wasser, und kostümierte Opernsänger sangen Stille Nacht und Ave Maria unter einem künstlichen Himmel. Boris und ich trotteten hinterher; wir kamen uns schäbig und armselig vor, schlurften mit den Schuhen über den Boden und waren viel zu überwältigt, um das alles aufzunehmen. Mein Dad hatte für uns einen Tisch in einem feinen, eichenholzgetäfelten italienischen Restaurant reserviert– einer Außenstelle des berühmteren Schwesterrestaurants in New York. » Bestellt, was ihr wollt, Leute « , er zog den Stuhl für Xandra zurück, » ich lade euch ein. Keine Hemmungen. «
Wir nahmen ihn beim Wort. Wir aßen Spargel-Flan mit Schalotten-Vinaigrette, geräucherten Lachs, Carpaccio vom Kanadischen Zackenbarsch, Perciatelli mit Artischocken und Schwarzen Trüffeln, knusprig gebratenen Forellenbarsch mit Safran und Favabohnen, gegrilltes Flankensteak, geschmorte Short Ribs und zum Nachtisch Panna Cotta, Kürbistorte und Feigen-Eiscreme. Es war mit Abstand das beste Essen, das ich seit Monaten oder vielleicht überhaupt jemals zu mir genommen hatte, und Boris, der sich den Zackenbarsch gleich zweimal bestellt hatte, war in Ekstase. » Ah, fabelhaft « , sagte er zum fünfzehnten Mal und schnurrte praktisch, als die hübsche junge Kellnerin zum Kaffee noch einen Extrateller mit Bonbons und Biscotti brachte. » Danke! Danke Ihnen, Mr. Potter, Xandra « , sagte er noch einmal. » Es ist köstlich. «
Mein Dad– im Vergleich zu uns hatte er nicht allzu viel gegessen (Xandra auch nicht)– schob seinen Teller weg. Die Haare an seinen Schläfen waren feucht, und sein Gesicht war so hellrot, dass es praktisch leuchtete. » Dank sei dem kleinen Chinesen mit der › Cubs ‹ -Mütze, der heute Nachmittag im Salon die ganze Zeit gegen die Bank gewettet hat « , sagte er. » Mein Gott. Es war, als könnten wir gar nicht verlieren. « Im Auto hatte er uns seinen Gewinn schon gezeigt: eine dicke Rolle Hunderter, umwickelt mit einem Gummiband. » Merkur im Krebs und der Mond hoch am Himmel! Ehrlich– das war Magie. Wisst ihr, manchmal ist da ein Licht am Tisch, wie ein sichtbares Leuchten, und das bist du, versteht ihr? Du bist das Licht! Da gibt’s diesen fantastischen Dealer hier, Diego, ich liebe Diego– ich meine, es ist verrückt, er sieht aus wie dieser Maler, Diego Rivera, nur in einem superscharfen Smoking. Hab ich euch schon von Diego erzählt? Ist seit vierzig Jahren hier draußen, seit den Tagen des alten Flamingo. Ein großer, kräftiger, prachtvoll aussehender Kerl. Mexikaner, wisst ihr? Schnelle, schlüpfrige Hände, große Ringe « , er wackelte mit den Fingern, » Bak-ka- RRRAT ! Gott, ich liebe diese Old-School-Mexikaner im Saal. Scheiße, Mann, die sind so stylis h ! Muffige alte, elegante Burschen, haben sich gut gehalten, wisst ihr? Jedenfalls, wir saßen an Diegos Tisch, ich und dieser kleine Chinese, und der war auch ziemlich abgefahren– Hornbrille und kein Wort Englisch, wisst ihr, immer nur: › San Bin! San Bin! ‹ Trank die ganze Zeit seinen verrückten Ginseng-Tee, den sie alle trinken. Schmeckt nach Staub, aber ich liebe den Geruch, es ist der Geruch des Glücks, und es war unglaublich, eine solche Strähne und die ganzen Chinesinnen hinter uns aufgereiht, während wir jedes Blatt kriegten– glaubst du « , er wandte sich an Xandra, » es wäre okay, wenn wir sie in den Bakkarat-Salon mitnehmen und ihnen Diego zeigen? Ich bin sicher, Diego wäre ein Riesen-Kick für sie. Ob seine Schicht noch im Gange ist? Was meinst du? «
» Er wird nicht da sein. « Xandra sah gut aus– ihre Augen funkelten regelrecht, sie trug ein samtenes Minikleid und juwelenbesetzte Sandalen, und ihr Lippenstift war röter als sonst. » Jetzt nicht. «
» Manchmal, an Feiertagen, macht er zwei Schichten hintereinander. «
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