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Der Distelfink

Der Distelfink

Titel: Der Distelfink Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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» Also, Hadley steht auf der Ehrenliste der Klassenbesten und so. Sie will bestimmt nicht bei Kotku abhängen. «
    » Was? « Boris raste empört los. » Diese Hexe. Was hat sie gesagt? «
    » Nichts. Es ist bloß… «
    » Doch, hat sie! « Er kam zum Pool zurückgestürmt. » Sag’s mir besser! «
    » Jetzt komm. Es ist nichts. Mach dich locker, Boris « , sagte ich, als ich sah, wie wütend er war. » Kotku ist Lichtjahre älter. Sie sind nicht mal in derselben Stufe. «
    » Das hochnäsige Flittchen. Was hat Kotku ihr getan? «
    » Chill, Mann. « Mein Blick landete auf der Wodka-Flasche, die von einem reinen weißen Sonnenstrahl erleuchtet wurde wie ein Lichtschwert. Er hatte viel zu viel getrunken, und ein Streit war das Letzte, was ich wollte. Doch ich war selbst so betrunken, dass mir nichts einfiel, wie ich ihn auf lockere oder lustige Art von dem Thema abbringen konnte.
    III
    Viele andere, bessere Mädchen in unserem Alter mochten Boris– am auffälligsten Saffi Caspersen, eine Dänin, die Englisch mit einem hochgestochenen britischen Akzent sprach, eine Nebenrolle in einer Cirque du Soleil-Produktion hatte und mit großem Abstand das schönste Mädchen in unserer Stufe war. Saffi war mit uns im Leistungskurs Literatur (wo sie einige interessante Dinge über Das Herz ist ein einsamer Jäger zu sagen hatte), und obwohl sie als arrogant galt, mochte sie Boris. Das konnte jeder sehen. Sie lachte, wenn er Witze machte, alberte in seiner Arbeitsgruppe herum, und ich hatte gesehen, wie sie im Flur schwärmerisch mit ihm sprach– und Boris ebenso enthusiastisch und auf seine russische Art gestikulierend antwortete. Trotzdem schien er sie– mysteriöserweise– kein bisschen anziehend zu finden.
    » Aber warum nicht? « , fragte ich ihn. » Sie ist das attraktivste Mädchen aus unserer Klasse. « Ich hatte immer gedacht, Dänen wären groß und blond, aber Saffi war eher klein und brünett und hatte etwas Märchenhaftes an sich, was durch ihr glitzerndes Bühnen-Make-up auf dem offiziellen Foto, das ich von ihr gesehen hatte, noch betont wurde.
    » Gut aussehend, ja. Aber sie ist nicht sehr scharf. «
    » Boris, sie ist ober scharf. Bist du verrückt? «
    » Ah, sie arbeitet zu hart. « Boris setzte sich, ein Bier in der einen Hand, neben mich und griff mit der anderen nach meiner Zigarette. » Zu brav. Immer nur lernen und proben und irgendwas. Kotku « , er blies eine Rauchwolke aus und gab mir die Zigarette zurück, » sie ist wie wir. «
    Ich schwieg. Wie war ich von AP -Kursen auf College-Niveau in einer Kategorie mit einer Außenseiterin wie Kotku gelandet?
    Boris stupste mich an. » Ich glaube, du magst sie selber. Saffi. «
    » Nein, nicht wirklich. «
    » Tust du doch. Lad sie ein. «
    » Ja, vielleicht « , sagte ich, obwohl ich wusste, dass ich nicht den Mumm hatte. In meiner alten Schule, wo Ausländer und Austauschschüler sich für gewöhnlich höflich am Rand hielten, wäre jemand wie Saffi zugänglicher gewesen, aber in Vegas war sie beliebt, zu viele Menschen umringten sie– und dann war da auch noch das mittelgroße Problem, wozu ich sie hätte einladen sollen. In New York hätte ich mit ihr Eislaufen, ins Kino oder ins Planetarium gehen können. Aber ich konnte mir kaum vorstellen, wie Saffi Caspersen Klebstoff schnüffelte, auf dem Spielplatz Bier aus Flaschen in braunen Papiertüten trank oder sonst irgendwas von dem machte, was Boris und ich so zusammen machten.
    IV
    Ich traf mich immer noch mit ihm– nur nicht mehr so oft. Immer häufiger übernachtete er bei Kotku und ihrer Mutter in den Double R Apartments– eigentlich ein Hotel für Durchreisende, ein heruntergekommenes Motel aus den 1950ern an dem Highway zwischen Flughafen und dem Strip, wo Typen, die aussahen wie illegale Einwanderer, im Hof um den leeren Pool herumstanden und über Motorradteile stritten. ( » Double R? « , fragte Hadley. » Du weißt, wofür das steht, oder? › Ratten ‹ und › Riesenkakerlaken ‹ . « ) Kotku kam zum Glück nur selten mit, wenn Boris mich besuchte, doch selbst wenn sie nicht da war, redete er ununterbrochen von ihr. Kotku hätte einen coolen Musikgeschmack, sie hätte ihm eine Mix- CD mit superheißem Hiphop gebrannt, die ich mir wirklich anhören müsste. Kotku mochte ihre Pizza nur mit grünen Paprika und Oliven. Kotku wollte ganz unbedingt ein elektrisches Keyboard– außerdem ein Siamkatzenbaby oder vielleicht auch ein Frettchen, aber sie durfte im Double R keine Haustiere halten.

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