Der Distelfink
mich okay, obwohl nach wie vor eine Schwere auf meiner Brust lag, die nie wegging, und wegen der ganzen Süßigkeiten, die wir aßen, meine Backenzähne verfaulten. Abgesehen davon ging es mir gut. Und so verstrich die Zeit ziemlich angenehm, bis Boris– kurz nach meinem fünfzehnten Geburtstag– ein Mädchen namens Kotku kennenlernte und alles anders wurde.
Der Name Kotku ( Kotiku in der ukrainischen Variante) ließ sie interessanter klingen, als sie war; sie hieß auch nicht wirklich so, es war nur ein Kosename ( » Miezekätzchen « auf Polnisch), den Boris ihr gegeben hatte. Ihr Nachname war Hutchins, ihr Vorname eigentlich Kylie, Keiley, Kaylee oder so, und sie hatte ihr Leben lang in Clark County, Nevada, gewohnt. Sie war auf unserer Schule und nur eine Klasse über uns, aber deutlich älter– volle drei Jahre älter als ich. Offenbar hatte Boris schon seit einer Weile ein Auge auf sie geworfen, doch davon hatte ich nichts mitbekommen, bis er sich eines Nachmittags auf mein Bett warf und erklärte: » Ich bin verliebt. «
» Ach ja? In wen? «
» Die Kleine aus Gemeinschaftskunde. Von der ich das Gras gekauft habe. Ich meine, sie ist schon achtzehn, kannst du das glauben? Gott, sie ist wunderschön. «
» Du hast Gras? «
Er stürzte sich im Spaß auf mich und erwischte mich an der Schulter: Er kannte meine Schwachstelle ganz genau, ein Punkt direkt unter dem Schulterblatt, in die er seine Finger bohren konnte, bis ich jaulte. Aber ich war nicht in der Stimmung und schlug zurück, hart.
» Autsch! Scheiße! « , sagt Boris, rollte sich zur Seite und rieb sich mit den Fingerspitzen das Kinn. » Warum hast du das gemacht? «
» Hoffentlich tut es weh « , sagte ich. » Wo ist dieses Gras? «
Wir redeten nicht weiter über Boris’ Angebetete, zumindest nicht an jenem Tag, doch als ich ein paar Tage später aus dem Matheunterricht kam, sah ich ihn bei den Spinden über einem Mädchen aufragen. Boris war schon nicht besonders groß für sein Alter, aber dieses Mädchen war winzig, egal wie viel älter als wir sie aussehen mochte: dazu flachbrüstig, mit knochigen Hüften, hohen Wangenknochen, einer glänzenden Stirn und einem spitzen, dreieckigen Gesicht. Nasenpiercing. Schwarzes Tanktop. Abgeblätterter schwarzer Nagellack, schwarzes Haar mit orangefarbenen Strähnen, kontrastarme, helle, chlorblaue Augen, die dick mit schwarzem Kajal umrandet waren. Sie war definitiv niedlich– sogar scharf, aber der Blick, mit dem sie mich bedachte, war beängstigend, sie hatte etwas von einer zickigen Fast-Food-Bedienung oder vielleicht einem bösartigen Babysitter.
» Und wie findest du sie? « , fragte Boris gespannt, als er mich nach der Schule einholte.
Ich zuckte die Achseln. » Sie ist schon süß. Irgendwie. «
» Irgendwie? «
» Also echt, Boris, ich meine, sie sieht aus, als wäre sie, was, fünfundzwanzig. «
» Ich weiß! Es ist super! « , sagte er mit schwärmerischem Blick. » Achtzehn Jahre! Volljährig! Sie kann Alkohol kaufen ohne Problem! Außerdem lebt sie schon immer hier und weiß, welche Läden Alter nicht kontrollieren. «
II
Hadley, das gesprächige Mädchen mit der College-Jacke aus meinem Kurs in amerikanischer Geschichte, kräuselte die Nase, als ich nach Boris’ älterer Schnitte fragte. » Die? « , sagte sie. » Eine Mega- Schlampe. « Hadleys große Schwester war in derselben Stufe wie Kyla oder Kayleigh oder wie immer sie hieß. » Und ihre Mutter ist eine stadtbekannte Nutte. Dein Freund sollte aufpassen, dass er sich nicht irgendeine Krankheit holt. «
» Tja « , sagte ich, überrascht von ihrer Heftigkeit, obwohl ich das vielleicht nicht hätte sein sollen. Hadley, ein Soldatenkind, war Mitglied des Schwimmteams und sang im Schulchor; sie hatte eine normale Familie mit drei Geschwistern, einem Weimaraner namensGretchen, den sie aus Deutschland mitgebracht hatten, und einem Dad, der sie anbrüllte, wenn sie abends zu spät nach Hause kam.
» Ganz ehrlich « , fuhr Hadley fort. » Sie macht mit den Freunden von anderen Mädchen rum– sie macht auch mit anderen Mädchen rum– sie macht mit jedem rum. Außerdem steht sie auf Gras, glaube ich. «
» Oh. « Keiner dieser Faktoren war meiner Ansicht nach ein Grund, Kylie oder wie auch immer nicht zu mögen, vor allem da Boris und ich seit einigen Monaten selbst leidenschaftlich kifften. Was mich jedoch störte– und zwar sehr–, war die Art, wie Kotku (ich werde sie weiter mit dem Namen nennen, den Boris ihr gegeben hat,
Weitere Kostenlose Bücher