Der Distelfink
die auf den Teppich schäumten– Spaß und keine so große Sache, wenn es tatsächlich passierte, unbedingt lohnend für den Moment von scharfem Keuchen, in dem ich die Augen nach innen verdrehte und alles vergaß. Und wenn wir am nächsten Morgen auf dem Bauch an gegenüberliegenden Seiten des Bettes stöhnend aufwachten, reduzierte sich das Ganze auf ein paar zusammenhanglose, flackernde Bilder im Gegenlicht, abgehackt und schlecht ausgeleuchtet wie in einem Experimentalfilm, das unvertraute Zucken von Boris’ Gesichtszügen eine bereits verblassende Erinnerung und nichts davon bedeutungsvoller für unser wirkliches Leben als ein Traum. Wir sprachen nie darüber; wenn wir uns für die Schule fertig machten, bewarfen wir uns mit Schuhen, bespritzten uns mit Wasser, kauten Aspirin-Tabletten gegen unseren Kater, lachten und alberten den ganzen Weg bis zur Bushaltestelle. Ich wusste, die Leute würden das Falsche denken, wenn sie davon erführen, ich wollte nicht, dass jemand es herausfand, und ich wusste, dass Boris es auch nicht wollte, aber gleichzeitig wirkte er so vollkommen unbeschwert, dass ich mir ziemlich sicher war, dass es bloß ein Spaß war, nichts, was man zu ernst nehmen oder worüber man sich aufregen sollte. Und doch hatte ich mehr als einmal überlegt, ob ich den Nerv aufbringen sollte, etwas zu sagen: irgendeine Grenze ziehen, die Dinge klarstellen, nur um absolut sicherzugehen, dass er keine falschen Ideen entwickelte. Aber der Moment war nie gekommen. Und nun hatte es keinen Sinn mehr, es anzusprechen oder deswegen verlegen zu sein, obwohl mich diese Tatsache auch nicht tröstete.
Ich hasste es, wie sehr ich ihn vermisste. Bei mir zu Hause wurde viel getrunken, jedenfalls von Xandra, dazu jede Menge Türenknallen ( » Also, wenn ich es nicht war, musst du es gewesen sein « , hörte ich sie schreien), und ohne Boris war es schlimmer (sie hielten sich mehr zurück, wenn er im Haus war). Ein Teil des Problems bestand darin, dass sich Xandras Arbeitszeiten in der Bar verändert hatten: Dienstpläne waren umgestellt worden, sie hatte eine Menge Stress, Kollegen waren weg oder auf andere Schichten verlegt worden. Wenn ich mittwochs und montags aufstand, um zur Schule zu gehen, war sie oft gerade erst nach Hause gekommen, saß allein vor ihrer Lieblingsvormittagssendung, zu aufgekratzt, um zu schlafen, und trank Pepto-Bismol direkt aus der Flasche.
» Armes erschöpftes Ich. « Sie versuchte zu lächeln, als sie mich auf der Treppe sah.
» Du solltest schwimmen gehen. Davon wirst du müde. «
» Nein danke, ich häng hier einfach weiter mit meinem Pepto ab. Der Wahnsinn mit Kaugummigeschmack. «
Was meinen Dad betraf, war er sehr viel öfter zu Hause– und verbrachte Zeit mit mir, was ich genoss, auch wenn seine Stimmungsschwankungen mich fertigmachten. Die Football-Saison hatte begonnen, sein Gang wirkte gelöst. Nachdem er etwas auf seinem BlackBerry nachgesehen hatte, klatschte er mich ab und tanzte durchs Wohnzimmer: » Bin ich ein Genie oder was? Was? « Er konsultierte Quoten, Spielberichte und– gelegentlich– ein Taschenbuch namens Skorpion: Eine Vorhersage Ihres Sportjahres. » Du musst immer sehen, dass du einen Vorsprung kriegst « , sagte er, während er Tabellen studierte und Zahlen in seinen Taschenrechner tippte, als würde er seine Einkommenssteuer berechnen. » Du brauchst bloß eine Trefferquote von dreiundfünfzig, vierundfünfzig Prozent, um ordentlich von dem Kram leben zu können– verstehst du, Bakkarat ist ausschließlich zur Unterhaltung, dafür braucht man kein besonderes Talent, ich setze mir ein Limit, das ich nie überschreite, aber mit Sportwetten kann man richtig Geld verdienen, wenn man diszipliniert ist. Du musst es angehen wie ein Investor. Nicht wie ein Fan, nicht mal wie ein Spieler, denn das Geheimnis ist, normalerweise gewinnt das bessere Team, und der Handicapper ist gut darin, die Quoten zu bestimmen. Aber ein Handicapper hat auch seine Beschränkungen, was die öffentliche Meinung betrifft. Er sagt nicht voraus, wer gewinnt, sondern wer nach Ansicht der Öffentlichkeit gewinnen soll. Und diese Abweichung zwischen dem Favoriten der Herzen und den harten Fakten– Scheiße, siehst du diesen Wide Receiver in der Endzone, wieder ein Big Point für Pittsburgh, dass die jetzt punkten, brauchen wir so dringend wie ein Loch im Kopf– jedenfalls, wie gesagt, wenn ich mich wirklich hinsetze und meine Hausaufgaben mache, im Gegensatz zu Joe Beefburger, der fünf
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