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Der Distelfink

Der Distelfink

Titel: Der Distelfink Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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bauschte wie die Tracht eines Arabers oder Hindu. » Nur, bei deinem Dad, manchmal ist es schwer zu sagen, was Spaß und was Ernst ist. « Er musterte mich eingehend. » Was denkst du? «
    » Nichts. «
    » Er weiß, dass wir reden. Deshalb hat er es mir erzählt. Er würde es mir nicht erzählen, wenn er nicht wollte, dass du es weißt. «
    » Ja. « Ich war mir ziemlich sicher, dass dem nicht so war. Mein Dad war der Typ, der in der richtigen Stimmung sein Privatleben freudig mit der Frau seines Chefs oder sonst jemand Unangemessenem erörtern würde.
    » Er würde es dir selbst erzählen « , sagte Boris, » wenn er denken würde, dass du es wissen willst. «
    » Hör mal. Wie du selbst gesagt hast… « Mein Dad hatte eine Neigung zum Masochismus, eine Vorliebe für die zu groß geratene Geste; an unseren gemeinsamen Sonntagen liebte er es, sein Unglück zu übertreiben, zu stöhnen und zu schwanken, nach einem verlorenen Spiel lautstark zu lamentieren, er wäre » fertiggemacht « oder » vernichtet « worden, selbst wenn er bei einem Dutzend anderer Spiele gewonnen hatte und auf seinem Taschenrechner die Profite addierte. » Manchmal trägt er ein bisschen dick auf. «
    » Nun, ja, ist wahr « , sagte Boris vernünftig. Er nahm mir die Zigarette wieder ab, zog einmal intensiv daran und gab sie mir freundlich zurück. » Du kannst den Rest haben. «
    » Nein danke. «
    Es folgte ein kurzes Schweigen, in dem wir die Zuschauer eines Football-Spiels jubeln hörten, das mein Dad im Fernsehen verfolgte. Dann lehnte Boris sich wieder auf die Ellbogen und fragte: » Was gibt es zu essen unten? «
    » Scheiß gar nichts. «
    » Ist noch was übrig vom Chinesen, dachte ich. «
    » Nicht mehr. Irgendjemand hat es gegessen. «
    » Mist. Vielleicht gehe ich zu Kotku, ihre Mom hat tief gefrorene Pizza. Willst du mitkommen? «
    » Nein, danke. «
    Boris lachte und machte eins seiner unecht aussehenden Gang-Handzeichen. » Wie du willst, yo « , sagte er mit seiner » Gangsta « -Stimme (zu unterscheiden von seiner normalen Stimme durch die Gesten und das » yo « ), stand auf und schlenderte mit rollendem Gang hinaus. » Nigga muss essen. «
    VII
    Das Seltsame bei Boris und Kotku war, wie schnell ihre Beziehung ins Reizbare, Handgreifliche abrutschte. Sie knutschten immer noch ständig rum und konnten kaum die Hände voneinander lassen, doch sobald sie den Mund aufmachten, war es, als würde man einem seit fünfzehn Jahren verheirateten Ehepaar zuhören. Sie stritten über kleine Geldsummen, wer zuletzt wem das Mittagessen im Einkaufszentrum bezahlt hatte, und ihre Gespräche klangen, wenn ich sie mitbekam, etwa so:
    Boris: » Was! Ich wollte nur nett sein! «
    Kotku: » Das war aber nicht besonders nett! «
    Boris, der hinter ihr her lief, um sie einzuholen: » Das ist mein Ernst, Kotíku! Ich wollte nur nett zu dir sein. «
    Kotku: [schmollt]
    Boris versucht vergeblich, sie zu küssen: » Was habe ich getan? Was ist los? Warum denkst du, dass ich nicht mehr nett bin? «
    Kotku: [schweigt]
    Das Problem mit Mike, dem Pool-Reiniger– Boris’ romantischem Rivalen– war durch Mikes äußerst willkommene Entscheidung gelöst worden, sich der Küstenwache anzuschließen. Kotku telefonierte offenbar weiter jede Woche stundenlang mit ihm, was Boris aus irgendeinem Grund nicht weiter beunruhigte. ( » Sie versucht nur, ihn zu unterstützen, verstehst du. « ) Doch es war erschreckend, wie eifersüchtig er in der Schule war. Er kannte ihren Stundenplan auswendig, und sobald unser Kurs zu Ende war, rannte er los, um sie zu suchen, als argwöhnte er, dass sie ihn in Wirtschaftsspanisch betrog. Als Popper und ich eines Nachmittags nach der Schule allein zu Hause waren, rief er an und fragte: » Kennst du einen Typen, der Tyler Olowska heißt? «
    » Nein. «
    » Er ist in deinem Kurs Amerikanische Geschichte. «
    » Tut mir leid. Es ist ein großer Kurs. «
    » Also, pass auf. Kannst du über ihn herausfinden? Wo er wohnt vielleicht? «
    » Wo er wohn t ? Geht es um Kotku? «
    Plötzlich– und zu meiner großen Überraschung– klingelte es an der Tür: vier erhabene Glockenschläge. In meiner ganzen Zeit in Las Vegas hatte noch nie jemand an unserer Tür geläutet, kein einziges Mal. Boris hatte es am anderen Ende der Leitung auch gehört. » Was ist das? « , fragte er. Der Hund rannte im Kreis und bellte wie verrückt.
    » Da ist jemand an der Tür. «
    » An der Tü r ? « In unserer verlassenen Straße– ohne Nachbarn, ohne

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