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Der Distelfink

Der Distelfink

Titel: Der Distelfink Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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Müllabfuhr, sogar ohne Laternen– war das ein bedeutendes Ereignis. » Was glaubst du, wer es ist? «
    » Ich weiß nicht. Ich ruf dich zurück. «
    Ich hob den praktisch hysterischen Poptschik hoch und schaffte es (obwohl er in meinem Arm zappelte und quiekend versuchte sich zu befreien), mit einer Hand die Tür zu öffnen.
    » Na, wen haben wir denn da « , sagte eine angenehme Stimme mit einem New Jersey-Akzent. » Was für ein niedlicher kleiner Bursche. «
    Ich blinzelte in die Nachmittagssonne zu einem sehr großen, sehr, sehr braunen und sehr dünnen Mann unbestimmbaren Alters hoch. Er sah halb aus wie ein Rodeo-Reiter, halb wie ein abgefuckter Salon-Entertainer. Die Gläser seiner goldenen Pilotenbrille waren oben violett getönt; er trug ein weißes Sportjackett zu einem roten Westernhemd mit Druckknöpfen aus Perlmutt und schwarze Jeans, doch was mir vor allem auffiel, war sein Haar: halb Toupet, halb transplantiert oder aufgesprayt, von einer Textur wie Fiberglaswolle und einer dunklen braunen Farbe wie Schuhcreme in der Dose.
    » Los, lass ihn runter! « Er nickte Popper zu, der immer noch versuchte, sich aus meinen Armen zu winden. Seine Stimme war tief, sein Gebaren ruhig und freundlich: Abgesehen von dem Akzent war er der perfekte Texaner bis hin zu den Stiefeln und allem. » Lass ihn herumlaufen! Mich stört es nicht. Ich liebe Hunde. «
    Als ich Poptschik losließ, bückte der Mann sich, um ihm den Kopf zu tätscheln, wie ein schlaksiger Cowboy am Lagerfeuer. So seltsam der Fremde auch aussah, bewunderte ich unwillkürlich, wie entspannt und behaglich er sich in seiner Haut zu fühlen schien.
    » Ja, ja « , sagte er. » Ein niedlicher kleiner Bursche. Ja, das bist du! « Seine gebräunten Wangen waren von feinen Fältchen überzogen wie ein vertrockneter Apfel. » Hab selbst drei von den Rackern zu Hause. Rehpinscher. «
    » Verzeihung? «
    Er richtete sich auf, lächelte mich an und präsentierte zwei gerade Reihen strahlend weißer Zähne. » Zwergpinscher « , sagte er. » Neurotische kleine Viecher, knabbern alles im Haus an, wenn ich weg bin, aber ich liebe sie. Wie heißt du, Junge? «
    » Theodore Decker « , sagte ich und fragte mich, wer er war.
    Wieder lächelte er, die kleinen Augen hinter seiner halb getönten Pilotenbrille zwinkerten. » Hey! Ein New Yorker! Ich kann es in deiner Stimme hören, hab ich recht? «
    » Das ist richtig. «
    » Ein Junge aus Manhattan, würde ich vermuten. Korrekt? «
    » Genau. « Noch nie hatte jemand vermutet, dass ich aus Manhattan kam, bloß weil er mir zugehört hatte.
    » Hey– ich bin gebürtig von und aufgewachsen in Canarsie, Brooklyn. Immer nett, jemanden von der Ostküste zu treffen. Ich bin Naaman Silver. « Er streckte die Hand aus.
    » Freut mich, Sie kennenzulernen, Mr. Silver. «
    » Mister! « Er lachte herzlich. » Ich mag höfliche Jungs. Viele von deiner Sorte gibt es nicht mehr. Bist du Jude, Theodore? «
    » Nein « , sagte ich und wünschte, ich hätte Ja gesagt.
    » Nun, ich sag dir was. Wenn’s nach mir geht, ist jeder, der in New York geboren ist, ein Jude ehrenhalber. So sehe ich das. Bist du je in Canarsie gewesen? «
    » Nein, Sir. «
    » Nun, früher in der alten Zeit war es ein großartiges Viertel, aber jetzt… « Er zuckte die Achseln. » Meine Familie hat vier Generationen dort gelebt. Mein Großvater Saul hat eines der ersten koscheren Restaurants in Amerika geführt. Ein großes, bekanntes Lokal, weißt du. Aber es musste schließen, als ich noch ein Kind war. Und nach dem Tod meines Vaters ist meine Mutter mit uns dann nach Jersey gezogen, damit wir näher bei Onkel Harry und seiner Familie waren. « Er stemmte eine Hand in seine schmale Hüfte und sah mich an. » Ist dein Dad zu Hause, Theo? «
    » Nein. «
    » Nicht? « Er blickte an mir vorbei ins Haus. » Das ist schade. Weißt du, wann er zurückkommt? «
    » Nein, Sir « , sagte ich.
    » Sir, das gefällt mir. Du bist ein guter Junge. Ich sag dir was, du erinnerst mich an mich selbst in deinem Alter. Frisch aus der Jeschiwa « , er hielt die Hände hoch, an seinen gebräunten, behaarten Handgelenken klimperten goldene Armreifen, » und diese Hände? Weiß wie Milch. Genau wie deine. «
    » Ähm… « Ich stand immer noch verlegen in der Tür. » Möchten Sie hereinkommen? « Ich war mir nicht sicher, ob ich einen Fremden ins Haus bitten sollte, doch ich war allein und langweilte mich. » Sie können warten, wenn Sie möchten. Aber ich weiß nicht, wann er nach

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