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Der Distelfink

Der Distelfink

Titel: Der Distelfink Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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Patrick, Little Frank (der kein bisschen klein, sondern von der Statur eines großen Gefrierschranks war)–, aber auch zwei Israelis, die Raviv und Avi hießen, sowie– mein persönlicher Favorit– ein russischer Jude namens Grischa. ( »› Russischer Jude ‹ ist Widerspruch in sich « , erklärte er in einer üppigen Rauchwolke seiner Mentholzigarette. » Jedenfalls für russisches Denken. Denn › Jude ‹ ist für Antisemit nicht dasselbe wie wahrer Russe– Russland ist berüchtigt dafür. « ) Grischa war in Sewastopol geboren und behauptete, sich auch daran zu erinnern ( » schwarzes Wasser, Salz « ), obwohl seine Eltern auswanderten, als er zwei war. Er war blond mit einem ziegelsteinroten Gesicht, einer erstaunlichen Augenfarbe, so türkis wie Rotkehlcheneier, er hatte einen dicken Bauch vom Trinken und ging so nachlässig mit seiner Kleidung um, dass manchmal die unteren Knöpfe seines Hemdes offen standen, obwohl er sich, seiner lockeren, arroganten Art nach zu urteilen, offensichtlich für gut aussehend hielt (was er womöglich auch einmal gewesen war). Im Gegensatz zu Mr. Pavlikovsky mit seiner steinernen Miene war er ziemlich redeselig, voller Witze, Anekdóty, wie er sie nannte, die er in einem ulkigen, monotonen Schnellfeuer-Tonfall erzählte. » Du denkst, du kannst fluchen, Maschór ? « , hatte er leutselig gefragt und von dem Schachbrett in einer Ecke der Werkstatt aufgeblickt, wo er und Hobie nachmittags manchmal eine Partie spielten. » Dann, los. Mal sehen, ob ich kriege rote Ohren. « Und ich hatte einen so Tränen treibenden Schwall von Unflat ausgestoßen, dass selbst Hobie– der kein Wort verstand– sich lachend zurückgelehnt und die Ohren zugehalten hatte.
    An einem trüben Nachmittag kurz nach Beginn meines ersten Herbstsemesters war ich zufällig allein zu Hause, als Grischa vorbeikam, um einige Möbel abzuliefern. » Hier, Maschór « , sagte er und schnippte seine Zigarettenkippe mit vernarbtem Daumen und Zeigefinger weg. Maschór – einer von mehreren spöttischen Spitznamen, die er mir gegeben hatte– bedeutete auf Russisch » Major « . » Mach dich nützlich. Komm und hilf mir mit dem Müll in dem Laster. « Für Grischa waren alle Möbel » Müll « .
    Ich blickte an ihm vorbei zu dem Laster. » Was hast du denn? Ist es schwer? «
    » Wenn es schwer wäre, poprygúntschik, würde ich fragen dich? «
    Wir trugen die Möbel herein– ein mit Polstermaterial eingewickelter, vergoldeter Spiegel, ein Kerzenständer, ein Satz Esszimmerstühle–, und sobald alles ausgepackt war, lehnte Grischa sich an eine Anrichte, an der Hobie gerade arbeitete (nachdem er zunächst mit einem Finger darübergestrichen hatte, um sich zu vergewissern, dass sie nicht klebte), und zündete sich eine Kool an. » Willst du eine? «
    » Nein danke. « Eigentlich wollte ich schon, aber ich hatte Angst, dass Hobie den Rauch an mir riechen würde.
    Grischa fächerte den Qualm mit einer Hand mit schmutzigen Nägeln von sich. » Und was machst du? « , fragte er. » Willst du mir heute Nachmittag helfen? «
    » Wobei helfen? «
    » Leg weg Buch mit nackten Frauen «, (Jansons Geschichte der Kunst ), » und fahr mit mir nach Brooklyn. «
    » Wozu? «
    » Ich muss ein paar von diesem Müll ins Lager bringen, könnte jemand brauchen, der mit anpackt. Mike sollte helfen, aber heute krank. Ja! Gestern Abend haben Giants gespielt und verloren, er hatte einen Haufen Kohle in dem Spiel. Wette, er liegt zu Hause in Inwood im Bett mit Kater und blaue Auge. «
    VI
    Auf der Fahrt nach Brooklyn in dem Laster voller Möbel hielt Grischa einen unaufhaltsamen Monolog darüber, was für ein feiner Charakter Hobie einerseits sei, der jedoch andererseits Weltys Unternehmen ruinierte. » Ein ehrlicher Mann in einer unehrlichen Welt? Ein Leben in Zurückgezogenheit? Es tut mir hier, in Herz, weh zu sehen, wie er jeden Tag sein Geld aus dem Fenster wirft. Nein, nein « , sagte er und hob die Hände, als ich etwas sagen wollte, » was er macht, braucht Zeit, Restaurierungen, Handarbeit wie die Alten Meister– ich verstehe. Er ist Künstler– kein Geschäftsmann. Aber erklär mir bitte, warum er bezahlt für Lager draußen am Brooklyn Naval Yard, anstatt Bestand zu räumen und Rechnungen zu bezahlen? Ich meine– guck dir bloß den Müll im Keller an! Sachen, die Welty bei Auktionen gekauft hat– und jede Woche kommt mehr. Laden oben ist vollgestopft! Er sitzt auf einem Vermögen– würde hundert Jahren dauern, alles zu

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