Der Distelfink
Türen wieder schließen wollte, als wären wir versehentlich in die Wohnung eines kürzlich verstorbenen, sammelwütigen Rentners gestolpert.
» Zweitausend im Monat zahlt er dafür « , sagte Grischa düster, als wir die Stühle von der Polsterung befreiten und vorsichtig auf einem Kirschholztisch stapelten. » Vierundzwanzigtausend Dollar im Jahr! Er sollte vielen Geld lieber nutzen, um sich mit Scheinen seine Zigaretten anzuzünden, anstatt zu zahlen Mieten für diese Dreckloch. «
» Was ist mit den kleineren Lagern? « Einige der Türen waren vergleichsweise winzig– etwa so groß wie ein Koffer.
» Leute sind verrückt « , sagte Grischa resigniert. » Für Platz so groß wie Kofferraum von Auto? Hunderte von Dollars im Monat? «
» Also « , ich wusste nicht, wie ich es fragen sollte, » was hält die Leute denn davon ab, hier illegale Sachen aufzubewahren? «
» Illegal? « Grischa tupfte sich mit einem schmutzigen Taschentuch erst die Stirn und dann den Kragenrand im Nacken ab. » Du meinst, wie Waffen oder was? «
» Genau. Oder zum Beispiel Diebesgut? «
» Was sie davon abhält? Ich sag dir. Gar nichts hält sie davon ab. Wenn du hier etwas vergräbst, findet es niemand, es sei denn, du wirst umgebracht oder in den Knast geschickt und zahlst deine Miete nicht. Neunzig Prozent dieser Sachen– alte Babyfotos und Plunder von Großmütterchens Speicher. Aber– wenn Wände sprechen könnten, weißt du? Wahrscheinlich sind hier Millionen von Dollars versteckt, wenn man wüsste, wo man suchen muss. Geheimnisse aller Art. Waffen, Juwelen, Leichen von Mordopfern– verrückte Sachen. Warte « , er knallte die Tür krachend zu und fummelte an dem Riegel herum, » hilf mir mit dem Scheißding. Gott, ich hasse diesen Kasten. Ist wie Tod, weißt du? « Er wies den endlosen sterilen Flur hinunter. » Alles verschlossen, vor dem Leben versiegelt! Jedes Mal wenn ich komme hier, ich habe Gefühl, als ob schwer atmen. Schlimmer als beschissene Bibliothek. «
VII
An jenem Abend holte ich die Gelben Seiten aus Hobies Küche, trug sie in mein Zimmer und schlug die Rubrik Lager: Kunst auf. Es gab Dutzende von Firmen in Manhattan und den umliegenden Boroughs, etliche mit imposanten Anzeigen, in denen sie ihre Dienste anpriesen: Weiße Handschuhe von Haustür zu Haustür! Die Comicfigur eines Butlers präsentierte eine Visitenkarte auf einem silbernen Tablett: BLINGEN AND TARKWELL , SEIT 1928. Wir bieten diskrete und vertrauliche Lagerung auf dem neuesten Stand der Technik für Geschäfts- und Privatkunden aus vielen Bereichen. ArtTech. Nachlassfragen. Archivlösungen. Komplett klimatisierte Lagerkapazitäten mit Temperaturkontrolle nach Anforderungen der AAM (American Association of Museums) bei 21 Grad und 50 Prozent relativer Luftfeuchtigkeit.
Aber das war alles viel zu kompliziert. Garantiert wollte ich keine Aufmerksamkeit darauf lenken, dass ich ein Kunstwerk einlagerte. Ich brauchte etwas Sicheres und Unauffälliges. Eine der größten Ketten hatte zwanzig Filialen in Manhattan– darunter ein Lager jenseits der East 60th Street am Fluss, in meiner alten Nachbarschaft, nur ein paar Straßen entfernt von der Wohnung, in der ich mit meiner Mutter gelebt hatte. Unsere Räumlichkeiten werden von einer rund um die Uhr besetzten Sicherheitszentrale überwacht und sind mit modernsten Rauch- und Branddetektoren ausgestattet.
Im Flur sagte Hobie etwas. » Was? « , fragte ich heiser, laut und falsch und klappte das Telefonbuch über meinem Finger zu.
» Moira ist hier. Willst du mit uns im Lokal an der Ecke einen Hamburger essen gehen? « Mit dem Lokal an der Ecke meinte er das White Horse.
» Klingt super, ich bin sofort fertig. « Ich wandte mich wieder den Anzeigen in den Gelben Seiten zu. Schaffen Sie Platz für Ihr Sommerhobby! Einfache Lösungen für Sport- und Freizeitgeräte! Und alles klang so einfach: keine Kreditkarte erforderlich, eine Kaution, und los ging’s.
Am nächsten Tag zog ich, anstatt zur Schule zu gehen, den Kissenbezug unter meinem Bett hervor, klebte ihn mit Klebeband zu, stopfte ihn in eine braune Bloomingdale’s-Tüte und nahm ein Taxi zu einem Sportgeschäft am Union Square, wo ich nach einigem Zögern ein billiges Zweimannzelt kaufte, bevor ich ein Taxi zur 60th Street nahm.
In dem futuristischen verglasten Büro des Lagers war ich der einzige Kunde. Ich hatte mir eine Geschichte zurechtgelegt (eifriger Camper, ordnungsfanatische Mom), doch die Männer an dem Tresen wirkten
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