Der Distelfink
viel Kram reinstopft. Die passen wir neu an. « Er zerrte die Schublade ganz heraus und verzog das Gesicht bei dem quietschenden Geräusch von Holz, das über Holz schrammte. » Wir feilen die Stellen ab, wo sie hakt. Siehst du die Rundung? Das repariert man am besten, indem man die Nut ausfräst– dadurch wird sie breiter, doch ich glaube nicht, dass wir die Führungsnute aus den Schwalbenschwanzzinkungen stemmen müssen– du erinnerst dich, wie wir es bei diesem Eichenmöbel gemacht haben? « Er strich mit dem Finger über die Kante. » Mahagoni verhält sich allerdings ein wenig anders. Genau wie Walnuss. Erstaunlich, wie häufig Holz an Stellen abgetragen wird, die eigentlich gar keine Probleme bereiten. Insbesondere Mahagoni ist so fein gemasert, vor allem so altes Mahagoni, dass man wirklich nur dort schleifen will, wo es unbedingt nötig ist. Ein bisschen Paraffin an die Führung, und sie ist so gut wie neu. «
IV
Und so verstrich die Zeit. Frühling ging in den Sommer über– Luftfeuchtigkeit und Müllgestank, die Straßen voller Menschen, der Götterbaum dunkel und dicht belaubt– und der Sommer in den Herbst, verlassen und kühl. Abends las ich Eugen Onegin oder studierte eins von Weltys zahlreichen Möbelbüchern (mein Favorit war ein uraltes zweibändiges Werk Chippendale-Möbel: Originale und Fälschungen) oder Jansons dicke und befriedigende Geschichte der Kunst. Obwohl ich im Keller manchmal sechs oder sieben Stunden mit Hobie arbeitete, meist ohne ein Wort mit ihm zu wechseln, fühlte ich mich im Licht seiner Aufmerksamkeit nie einsam: Dass ein Erwachsener, der nicht meine Mutter war, so mitfühlend und im Einklang mit mir sein konnte, so vollkommen präsent, verwunderte mich. Wegen unseres großen Altersunterschieds waren wir schüchtern im Umgang miteinander; es gab eine Förmlichkeit, eine Generationen bedingte Reserviertheit, doch gleichzeitig hatten wir in der Werkstatt eine Art Telepathie entwickelt, sodass ich ihm die richtige Feile oder den passenden Beitel schon anreichte, bevor er mich darum gebeten hatte. » Kunstharz-verklebt « war seine Kurzformel für alle minderwertigen Arbeiten und Billigprodukte im Allgemeinen; er hatte mir eine Reihe von Originalen gezeigt, wo die Holzverbindungen ungestört zweihundert Jahre oder länger gehalten hatten, während das Problem bei vielen neueren Arbeiten darin bestand, dass sie zu fest hielten, das Holz zu eng zusammenfügten, es splittern oder nicht atmen ließen. » Denk immer daran, die Person, für die wir eigentlich arbeiten, ist der Mensch, der dieses Möbelstück in einhundert Jahren restauriert. Ihn wollen wir beeindrucken. « Wenn er ein Möbel zusammenleimte, war es meine Aufgabe, die richtigen Schraubzwingen an den vorgesehenen Stellen bereitzulegen, während er die einzelnen Teile in präziser Anordnung arrangierte, Zapfen an Schlitz– mühselige Vorbereitungen für das eigentliche Leimen und Fixieren, wenn wir in den wenigen Minuten, bevor der Leim aushärtete, fieberhaft arbeiten mussten und er mit ruhigen Händen wie ein Chirurg das richtige Teil griff, wo ich mich ungeschickt anstellte, ohnehin in erster Linie dafür zuständig, die Kanten zusammenzudrücken, während er die Zwingen ansetzte (nicht nur die üblichen G- und F-Form-Schraubzwingen, sondern auch eine exzentrische Ansammlung von Gegenständen, die er zu diesem Zweck bereithielt, wie Matratzensprungfedern, Wäscheklammern, alte Stickringe, Fahrradschläuche und– als Gewichte– bunte Sandsäckchen aus Kaliko sowie diverse zusammengesuchte Objekte wie alte bleierne Türstopper und gusseiserne Sparschweine). Wenn er niemanden brauchte, der ihm zur Hand ging, fegte ich Späne auf und hängte die Werkzeuge wieder an ihren Haken, und– wenn es sonst nichts zu tun gab– war ich auch zufrieden, einfach dazusitzen und ihm zuzusehen, wie er Beitel schärfte oder mit einem Topf heißem Wasser auf der Kochplatte Holz über dem Wasserdampf bog. OMG da unten stinkt es, simste Pippa. Die dämpfe sind furchtbar wie hältst du das aus? Aber ich liebte den Geruch– erfrischend giftig– und das Gefühl von Holz unter meinen Händen.
V
Während der ganzen Zeit hatte ich weiter sorgfältig die Nachrichten über meine Co-Kunsträuber in der Bronx verfolgt. Sie hatten sich sämtlich schuldig bekannt– auch die Schwiegermutter– und die gesetzlichen Höchststrafen aufgebrummt bekommen: Geldstrafen in den Hunderttausenden und Haftstrafen von fünf bis fünfzehn Jahren ohne
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