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Der Distelfink

Der Distelfink

Titel: Der Distelfink Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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Geröll um und versuchte, mich zu orientieren und einen Weg zu finden.
    Als ich mit Mühe die Mitte des Raumes oder das, was zumindest danach aussah, gefunden hatte, sah ich, dass die eine Tür von fetzenweise herabhängenden Trümmern verdeckt war, und ich drehte mich um und fing an, mich in die andere Richtung vorzuarbeiten. Dort war der Türsturz eingebrochen und hatte einen Berg von Steinen herunterfallen lassen, der fast so hoch war wie ich. Die rauchverhangene Öffnung darüber war groß genug, um mit einem Auto hindurchzufahren. Ich fing an, mühsam hinaufzuklettern und zu kraxeln– über Betonbrocken hinweg und um sie herum–, aber bevor ich sehr weit gekommen war, wurde mir klar, dass ich in die andere Richtung würde gehen müssen. Matte Feuerschatten leckten über die hinteren Wände dessen, was der Ausstellungsshop gewesen war, sie spuckten und sprühten Funken im Halbdunkel, zum Teil deutlich unterhalb der Ebene, wo der Fußboden hätte sein müssen.
    Es gefiel mir nicht, wie die andere Tür aussah (rot befleckte Dämmplatten, und die Spitze eines Männerschuhs ragte aus einem Haufen zerbröckeltem Putz), aber wenigstens war das meiste von dem Zeug, das den Durchgang versperrte, nicht besonders fest. Ich tappte zurück, duckte mich unter ein paar Kabeln hindurch, die funkensprühend von der Decke hingen, und warf mir den Beutel über die Schulter. Ich holte tief Luft und stürzte mich mit dem Kopf voran in die Verwüstung.
    Staub und ein scharfer chemischer Geruch nahmen mir sofort den Atem. Ich hustete und betete, dass nicht noch mehr Stromkabel vor mir herunterbaumelten; ich tastete und stocherte in der Dunkelheit vor mir umher, und alle möglichen Arten von lockerem Schutt fingen an, herabzurieseln und mir in die Augen zu regnen: Kies, Mörtelstaub, Bröckchen und Klumpen, Gott weiß, wovon.
    Manches Baumaterial war hell, anderes nicht. Je weiter ich mich vorwärtsarbeitete, desto dunkler und heißer wurde es. Immer wieder verengte sich der Weg oder war ganz unerwartet verstellt, und in meinen Ohren toste der Lärm einer Menschenmenge– woher, das wusste ich nicht. Ich musste mich um Dinge herumzwängen, manchmal gehend, manchmal kriechend, und in den Trümmern waren Körper, die ich mehr spürte als sah, etwas verstörend Weiches, das unter dem Druck meines Gewichts nachgab. Aber noch schlimmer war der Geruch: verbrannter Stoff, verbrannte Haare, verbranntes Fleisch und ein bitterer Hauch von frischem Blut– Kupfer, Zinn und Salz.
    Meine Hände waren zerschnitten und meine Knie ebenso. Ich duckte mich unter etwas hindurch und ging um etwas anderes herum, tastete mich voran und strich mit der Hüfte an einer langen Latte oder einem Balken entlang, bis mir der Weg durch eine solide Masse versperrt wurde, die sich anfühlte wie eine Wand. Mit Mühe– es war eng hier– drehte ich mich um, damit ich in den Beutel greifen konnte, um die Lampe herauszuholen.
    Ich wollte die Schlüsselring-Lampe haben– sie lag ganz unten, unter dem Bild–, aber meine Finger schlossen sich um das Telefon. Ich schaltete es ein– und ließ es im selben Augenblick wieder fallen, denn im Schein des Displays sah ich die Hand eines Mannes, die zwischen zwei Betonklötzen herausragte. Ich weiß noch, dass ich bei allem Entsetzen dankbar war, weil es nur eine Hand war, auch wenn ich das dunkle, fleischige, geschwollene Aussehen der Finger nie mehr habe vergessen können. Ab und zu fahre ich immer noch erschrocken zurück, wenn ein Bettler auf der Straße mir eine solche Hand entgegenstreckt, aufgedunsen und mit schwarzem Dreck unter den Nägeln.
    Da war immer noch die kleine Taschenlampe– aber ich wollte das Telefon. Es warf einen matten Schimmer hinauf in den Hohlraum, in dem ich war, aber als ich mich gerade so weit gefasst hatte, dass ich mich danach bücken konnte, wurde das Display dunkel. Der Nachglanz schwebte säuregrün vor mir in der Dunkelheit. Ich sank auf die Knie und kroch im Dunkeln herum, griff mit beiden Händen zwischen Steine und Glas, entschlossen, es wiederzufinden.
    Ich glaubte zu wissen, wo es war oder wo es ungefähr war, und ich suchte wahrscheinlich länger danach, als ich es hätte tun sollen, aber erst, als ich die Hoffnung aufgegeben hatte und wieder aufstehen wollte, merkte ich, dass ich in einen niedrigen Hohlraum gekrochen war, in dem ich nicht aufstehen konnte: Ungefähr zwei Fingerbreit über meinem Kopf war eine harte Decke. Umdrehen ging nicht, Rückwärtskriechen ging nicht– also

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