Der Distelfink
festen Kundenstamm geschaffen. Das Viertel der Sachen mit niedrigen Preisen sorgte dafür, dass die Schnäppchenjäger, wenn sie geduldig suchten, immer noch etwas finden konnten. Dieses Viertel bewirkte aber auch, dass die hochgesetzten Preise durch irgendeine perverse Alchemie im Vergleich gerechtfertigt erschienen: Manche Menschen waren, aus welchem Grund auch immer, eher geneigt, fünfzehnhundert Dollar für eine Teekanne aus Meißener Porzellan auszugeben, wenn sie neben einem schlichteren, aber vergleichbaren Objekt stand, das (korrekt, aber billig) für einige Hundert angeboten wurde.
So hatte es angefangen: So hatte Hobart und Blackwell unter meiner wachsamen Schirmherrschaft nach jahrelangem Siechtum begonnen, Gewinn abzuwerfen. Aber es ging nicht nur ums Geld. Ich mochte das Spiel. Anders als Hobie– der fälschlicherweise davon ausging, dass jeder, der seinen Laden betrat, ebenso fasziniert von Möbeln war wie er selber, und ihn deshalb äußerst nüchtern auf die Makel und Vorzüge eines Objekts hinwies– hatte ich entdeckt, dass ich über das genau entgegengesetzte Talent verfügte: die Gabe der mysteriösen Verschleierung. Ich konnte auf eine Art über minderwertige Stücke sprechen, dass die Leute sie haben wollten. Wenn ich ein Objekt verkaufte und leidenschaftlich schönredete (anstatt mich stumm zurückzulehnen und die Unvorsichtigen allein in meine Falle tappen zu lassen), empfand ich das als ein Spiel, den Kunden einzuschätzen und zu erkennen, welches Bild er von sich projizieren wollte. Es ging nicht so sehr darum, wer er wirklich war (ein alles wissender Innenarchitekt? eine Hausfrau aus New Jersey? ein gehemmter Schwuler?), sondern wer er oder sie sein wollte. Selbst auf höchstem Niveau war alles eine reine Verschleierungstaktik: Jeder möblierte eine Kulisse. Der Trick war, sich an die Projektion zu wenden– den Kenner, den kritischen Bonvivant–, und nicht an den unsicheren Menschen, der tatsächlich vor einem stand. Nie zu direkt, sondern immer ein wenig zurückhaltend. Rasch lernte ich, mich richtig zu kleiden (auf der Grenze zwischen konservativ und schrill), und wie ich mit kultivierten und weniger kultivierten Kunden umgehen und sie in unterschiedlichem Maße höflich und unverschämt behandeln musste: bei beiden Kenntnisse voraussetzen, schnell mit einem Kompliment zur Hand sein, schnell das Interesse verlieren oder im genau richtigen Moment beiseitetreten.
Und trotzdem hatte ich es bei Lucius Reeve übel vermasselt. Was er wollte, wusste ich nicht. Während er meinen Entschuldigungen anhaltend ausgewichen war, hatte sich sein Zorn mit aller Macht auf Hobie gerichtet, sodass ich anfing zu glauben, ich wäre unwissentlich in eine alte Fehde oder Feindschaft geraten. Ich wollte mich nicht verraten, indem ich Reeves Namen Hobie gegenüber erwähnte, und wer sollte einen so heftigen Groll gegen Hobie hegen, den gutmütigsten und uneigennützigsten aller Menschen? Meine Internet-Recherche zu Lucius Reeve hatte bis auf ein paar belanglose Erwähnungen in den Society-Nachrichten nichts ergeben, nicht einmal eine Verbindung zu Harvard oder dem Harvard-Club, nur eine seriöse Fifth-Avenue-Adresse. Es war dumm gewesen, ihm einen Scheck auszustellen– Gier meinerseits. Ich hatte daran gedacht, dem Möbel eine Provenienz zu verschaffen, obwohl ein diskret unter einer Serviette verborgener, über den Tisch geschobener Umschlag mit Bargeld zu diesem Zeitpunkt auch keine Versicherung gewesen wäre, dass er die Sache auf sich beruhen lassen würde.
Ich stand, die Fäuste in den Taschen meines Mantels, die Brille vom Frühlingsdunst beschlagen, und starrte unglücklich auf das schlammige Gewässer des Pond: ein paar traurige braune Enten, Plastiktüten, die zwischen dem Schilf trieben. Die meisten Bänke trugen den Namen ihrer Stifter– in Erinnerung an Mrs. Ruth Klein oder wen auch immer–, aber die Bank meiner Mutter, unser von ihr so getaufter Rendezvous Point, war von seinem anonymen Stifter als einzige von allen Bänken in diesem Teil des Parks mit einer ungleich rätselhafteren und freundlicheren Botschaft versehen worden: ALLES , WAS MÖGLICH IST . Schon vor meiner Geburt war es ihre Bank gewesen; in ihrer ersten Zeit in der City hatte sie hier an ihren freien Nachmittagen mit einem Buch aus der Bücherei gesessen, auf das Mittagessen verzichtet, wenn sie das Geld für eine Eintrittskarte ins Mo MA oder einen Kinobesuch im Paris Theatre brauchte. Ein Stück weiter, jenseits des Pond,
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